100 III. Weiteres zur Wertpsychologie. macht bei dieser zweiten Werthaltung die erste eine ganz wesentliche Voraussetzung aus, die aber keineswegs mit der Gegen Stands Voraus- setzung der zweiten Werthaltung zusammenfällt. Man sagt in natür- licher Weise, daß da das um des P willen wertgehalten werde. Man darf auch sagen: die Werthaltung, die sich dem zuwendet, ist auf dieses vom P gleichsam übertragen und man kann in diesem Sinne die Werthaltung des als eine übertragene Werthaltung bezeichnen. Auch die Werthaltung des P kann aus einer anderen Werthaltung, etwa der eines Q entspringen; wichtig ist nun aber, daß sie es keines- wegs muß, vielmehr die Erfahrung auch schon auf das Ausgangs- objekt bezogene Werthaltungen kennen lehrt, die von solcher Über- tragung nichts vorfinden lassen und daher passend als unübertragene Werthaltungen zu kennzeichnen sind. Man legt Wert darauf, in dieser oder jener Hinsicht tüchtig, auch wohl darauf, geehrt, geliebt, gesucht, umworben zu sein. Auch gegenüber eigener Lust und eigener Unlust gibt es ein Wertverhalten, das von dem in solchem Falle das Wert- objekt ausmachenden Gefühle oft leicht zu unterscheiden ist, zumal bei körperlichen Schmerzen, aus denen sich der eine viel, der andere wenig , macht", wie man zu sagen pflegt, und auch derselbe Mensch zu ver- schiedener Zeit bald mehr, bald weniger, je nach Stimmung und Kräfte- zustand. Hier, wie bei tausend anderen Gelegenheiten, muß es keines- wegs unter allen Umständen an Neben- und Hintergedanken fehlen, vermöge deren die betreffende Werthaltung dann den Charakter des Übertragenen au sich hat. Aber ebenso oft oder vielmehr erheblich öfter ist von solchen Nebenrücksichten nicht das Geringste zu merken, ja direkte Empirie wird sie als maßgebend nicht selten auszuschließen in der Lage sein. In solchen Fällen hat man ohne Zweifel das Recht, von unübertragenen W^erthaltungen zu reden. Obwohl sonach hier der direkte Aspekt deutlicher spricht als bei manch anderer Gelegenheit, wo man ihm unbedenklich traut, könnte es doch im Interesse theoretischer Einfachheit geboten erscheinen, sich die Frage vorzulegen, ob von den beiden Gliedern des sich so ergebenden Gegensatzes nicht etwa doch das eine auf das andere zurückzuführen und so der Gegensatz zu beseitigen wäre. Um so dringlicher mag ein solcher Gedanke Berücksichtigung verlangen, je mehr der in Rede stehende Gegensatz an den analogen zwischen mittelbarer und unmittel- barer Evidenz beim Erkennen gemahnt*, demgegenüber sich schon mehr als einmal das Bedürfnis einzustellen schien, alles Erkennen als in letzter Linie bloß unmittelbar oder bloß vermittelt auffassen zu können. Hier sei also den beiden analogen Eventualitäten mit einigen Erwägungen nachgegangen. Besonders naheliegend könnte es scheinen, der Behauptung hin- sichtlich der Übertragung der Werthaltung von P auf die Frage ent- gegenzuhalten, ob in den hier in Betracht kommenden Fällen das auch wirklich wertgehalten werde. Am Schlüssel, so könnte man sagen. 1 Vgl. „Über emotionale Präsentation", a. a, 0., S. 124 f. § 4. Übertragung und Vermittlung bei Werthaltungen. 101 liegt mir ja, genau besehen, wirklich nichts, sondern ausschließlich daran, in das verschlossene Zimmer zu kommen. Und ohne Zweifel steht das werthaltende Subjekt dem Schlüssel charakteristisch anders gegenüber als dem Eintritt in das Zimmer. Daß es indes auch dem Schlüssel, allgemein dem Objekt gegenüber an einer Werthaltung nicht fehlt, darüber läßt nähere Erwägung keinerlei Unsicherheit bestehen. Immerhin könnte man sich dafür freilich zunächst auf ein Argu- ment berufen, das nur scheinbar vorhältig ist. Man könnte nämlich auf Fälle hinweisen, die zwar von Haus aus Übertragungsfälle sind, bei denen aber in Folge besonderer Umstände ein P außer Betracht komme, so daß, wer dem die Eignung abspräche, Werthaltungsobjekt zu sein, für die betreffende Werthaltung ein Objekt überhaupt nicht namhaft machen könnte. Mein Taschenmesser zum Beispiel halte ich auch zu Zeiten wert, da es nichts zu schneiden gibt, so daß das P, dem ich mein Werthalten eigentlich und im Sinn der zu prüfenden These ausschließlich zuzuwenden hätte, überhaupt fehlt. Dabei muß natürlich von dem sicherlich nicht selten verwirklichten Falle abgesehen werden, daß das Messer, das erst nur im Hinblick auf gewisse Leistungen wert- gehalten wurde, nachher wertgehalten wird ohne Rücksicht auf diese, indem aus seinem übertragenen Werte durch „Ableitung" ein unüber- tragener Wert geworden ist. Aber auch wo sich eine solche wesentliche Abänderung der Sachlage nicht vollzogen hat, fehlt in Wahrheit das Werthaltungsobjekt P nicht. Ich halte das Messer freilich nicht wert im Hinblick auf eine bestimmte, als wirklich bevorstehende, dafür aber im Hinblick auf eine unbestimmte, mögliche Leistung. Es handelt sich dabei um das, was ich an anderem Orte^ unter dem Namen des Möglichkeitswertes kurz charakterisiert und auch im vorangehenden^ flüchtig berührt habe. Ist also der Tatbestand der Werthaltungsüber- tragung nur sonst ins reine gebracht, so werden uns Fälle, wie die eben behandelten zwar sicher nicht irre machen ; eine besondere Beweiskraft zu- gunsten der Übertragung wird ihnen freilich nicht wohl zuzuschreiben sein. Mit umso besserem Erfolge sind allfälligen Zweifeln an der Tat- sache der Übertragung andere Gesichtspunkte entgegenzuhalten. In erster Linie ist es die direkte Empirie, die hier deutliches Zeugnis ablegt. Die Freude, die der Forscher über die Erwerbung eines geeigneten Stückes seines Forschungsapparates und selbst das Schulkind erleben kann, wenn ihm Dinge geschenkt werden, die es für den naturgemäß gar nicht immer und vorbehaltlos geliebten Unterricht , braucht", sind unverkennbare Belege. Es kommt hinzu, daß, wie zuvor erwähnt, das Mittel zum wertgehaltenen Zweck sich im Sinne der „Wertableitung* vom Ausgangswerte gleichsam emanzipieren, in diesem Sinne eine unübertragene Werthaltung auf sich ziehen kann. Das Gesetz, dem das Werthalten dabei folgt, ist ganz wohl bekannt ; aber es verlangt eben, daß das Objekt 0, das in dieser Weise einen sozusagen selbständigen ^.1 1 Vgl."„Über Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit", S. 82. 2 Vgl. oben S. 69.