88 III. Weiteres znr Wertpsychologie. oder sich sowohl über Sein als Nichtsein eines Objektes freuen könnte und so fort, ist doch sicher schwerer zu leisten, als daß er nicht bei unzureichender Überlegung oder Intelligenz Widersprechendes zugleich für wahr zu halten im Stande wäre. Es sollte natürlich das eine so wenig geschehen wie das andere ; die apriorische Evidenz aber kommt augenscheinlich hier wie dort zunächst dem zu statten, was sein soll, und nicht vorbehaltlos dem, was ist. Nebenbei gestattet diese Vernünftigkeit, auf die Erlebnisse an- gewendet, eine doppelte Interpretation. Entweder sie besagt, daß wenn ein Subjekt im Existenzfalle Daseinsfreude erlebt, es sozusagen kon- sequenter Weise im Nichtexistenzfalle Nichtdaseinsleid zu erfahren hat. Oder sie bedeutet, daß dieses Nichtdaseinsleid sich einzustellen hat im ausdrücklichen Hinblick auf die maogelnde Daseinsfreude. Daß von der Freude zum Leid übergegangen wird, ist dabei natürlich nicht das Wesentliche ; es könnte ebenso gut der umgekehrte Weg eingeschlagen • werden. Nur darauf kommt es an, daß das zweite Gegengefühl sich das einemal selbständig einstellt, das andere Mal im Hinblick auf das erste, insofern von diesem gewissermaßen abhängig. Was den Tat- sachen besser entspricht, kann nur die Empirie entscheiden ; keinesfalls aber darf man sich für die zweite, kompliziertere Auffassung durch die Erwartung einnehmen lassen, als wäre damit dem Streben nach theoretischer Sparsamkeit Rechnung zu tragen. Habe ich Nichtseinsleid an einem Objekte, weil ich der Seinsfreude daran entraten muß, so liegt auch da ein sozusagen originäres Nichtseinsleid vor, das nur statt unseres Objektes die fehlende Seinsfreude zum Gegenstande hat. Tat- sache ist jedenfalls soviel, daß das Denken an das eine Gegengefühl und dessen Voraussetzungen das andere Gegengefühl in der Stärke seines Auftretens hebt. Ein Verlust schmerzt besonders stark, solange der Gedanke an den verlorenen Besitz noch lebendig ist. Einen Besitz aber, der uns sonst schon ziemlich gleichgültig geworden ist, pflegen wir erneut zu schätzen, sobald er bedroht ist, und die sonst gewohnte Umgebung wird uns besonders lieb, sobald wir uns davon vorübergehend oder dauernd trennen müssen. Keinesfalls aber hätte man im Auftreten oder Ausbleiben solcher Nebengedanken das entscheidende Moment dafür zu erblicken, daß unsere Gefühlserlebnisse so weitgehende Abweichungen von der eben vermuteten apriorischen Norm aufweisen, wie sie uns in den oben vorgeführten Ausfallstatsachen entgegentreten. Viel eher möchte hiefür das Gesetz der Abstumpfung verantwortlich zu machen sein, dem alle passiven Erlebnisse ebenso ausnahmslos unterstehen dürften, wie die aktiven (Denken und Begehren) sich dem diametral entgegengesetzten Übungsgesetze fügen^. Es liegt an der Gefühlsabstumpfung, daß man im Laufe seines Lebens so viel an (persönlichen) Werten, immerhin auch manches an Unwerten verliert, und es ist leicht zu verstehen, 1 Vgl. , Allgemeines znr Lehre von den Dispositionen" in den von mir herausgegebenen , Beiträgen znr Pädagogik und Dispositionstheorie" (Martinak- JFestschrift), Prag 1919. S. 52. § 2. Die Gegengefühle. 89 wie diese Abstumpfung gerade bei den Gegengefühlen sich in besonderem Maße geeignet zeigt, die anscheinend durch die Natur der Sache geforderte Stärkegleichheit solcher Gefühle in ihr Gegenteil zu verwandeln. Existiert ein Werthaltungsobjekt, so bedeutet das die Tendenz, das betreffende Daseinsgefühl — , existiert es nicht, so eine Tendenz, das betreffende Nichtdaseinsgefühl der Abstumpfung auszusetzen. Davon sind nicht einmal Bestandgefühle ausgenommen, trotz der den Beständen eigenen Zeitlosigkeit^. Denn für die Abstumpfung kommt ja zunächst nicht die allfällige Gegenstandszeit, sondern die Voraussetzungsurteils-, respektive die Gefühlszeit in Frage. Daß übrigens auch noch ganz andere Faktoren zu derartigen Erfolgen beitragen können, mag das Beispiel einer oft zu machenden Erfahrung dartun. Zu Auszeichnungen, Ehrenstellen und dergleichen, durch die nicht selten politische, wissenschaftliche und ähnliche Verdienste anerkannt werden, verhalten sich bekanntlich die Nachdenklicheren meist so, daß sie, wenn sie die Anerkennung ver- dient zu haben glauben, es zwar kaum sonderlich schätzen, sie zu erhalten, wohl aber einen Entgang verspüren, wenn sie ihnen vorent- halten worden ist. Äußerlich steht das durchaus auf gleicher Linie mit dem Verhalten des Verwöhnten, der durch den Luxus, der ihn umgibt, nicht berührt wird, solange er da ist, ihn aber entbehrt, wenn er fehlt. Bei Ehrenzeichen aber kann die Gewöhnung nicht wohl den Ausschlag geben : denn hat einer das Zeichen nicht erhalten, so ist er eben zunächst an den Nichtbesitz gewöhnt, hat er es dagegen eben erhalten, so kann Gewöhnung an den Besitz noch gar nicht vorliegen. Dagegen bietet sich zur Erklärung hier ein anderes naheliegendes Moment dar, der Vergleich mit anderen, die ähnliche Anerkennung ver- dient, respektive empfangen haben. Was als Besitz durchaus wertlos ist, kann derjenige schmerzlich vermissen, der sich durch den Entgang gegenüber anderen, nicht Würdigeren zurückgesetzt findet. Merkwürdig ist immerhin, daß hier schon eine so summarische psychologische Betrach- tung wie die eben durchgeführte auf Analogien zu zwei fundamentalen Gesetzmäßigkeiten auf dem Gebiete des Lichtsinnes führt. Man wird ja kaum umhin können, bei der Gefühlsabstumpfung an das Adaptations- gesetz, bei der Steigerung vermöge des Gegenteiles an das Kontrast- gesetz zu denken. Außerstande, derartigen Details hier weiter nachzugehen, dürfen wir zusammenfassend jedenfalls zweierlei behaupten: einerseits die durchaus apriorische Natur der Einsicht darein, daß demselben Objekt gegenüber für dasselbe Subjekt von den möglichen Werthaltungen immer nur die beiden Glieder eines Gegengefühlspaares in Frage kommen, andererseits die trotz eines unverkennbaren apriorischen Einschlage» doch wesentlich empirische Natur des Wissens darüber, ob das Subjekt auf jedes der beiden unter den gegebenen Umständen möglichen Vor- aussetzungsurteile durch ein Wertgefühl reagiert und ob diese Gefühls- reaktion eine starke oder eine schwache ist. Denn dies hängt außer Vgl. „Über Annahmen" ^ [Register].