70 II. Die Werterlebnisse. § 10. Anhang : Wertgef ahl als seknndäre Stellnngnahme. 71 tun, so daß besser von Wertlialtung eines bloß Möglichen zu reden sein wird. DaG dann auch hier keine feste Grenze zu ziehen und insbeson- dere der Übergang aus dem Zustande der Möglichkeitswerthaltung in den von Hoffnung, respektive Furcht oder umgekehrt leicht anzutreffen sein wird, ist selbstverständlich. § 10. Anhaug: Wertgefühl als sekundäre Stellungiialime. Blicken wir von hier auf die bisher durchgeführten Untersuchungen zurück, so ist nicht zu verkennen, daß sie im Hinweise auf die Wert- gefühle (und speziell Werthaltungen) auf ein relativ ziemlich einfaches Ergebnis geführt haben. In dieser Einfachheit sieht der neueste Bearbeiter der Werttheorie^ einen Fehler „fast aller" bisherigen einschlägigen Aufstellungen, indem diese «den Prozeß der Wertung für einen ein- fachen seelischen Vorgang ansehen, während in Wirklichkeit kompli- ziertere Verhältnisse bestehen. Der Umstand, daß etwas mein Gefühl oder mein Begehren erregt, ist an sich keineswegs eine Wertung, sondern nur ein Teilphänomen dieser oder (wie wir sagen) die Grundlage der- selben. Es muß zu dem grundlegenden Gefühl oder Begehren noch ein weiterer seelischer Akt hinzukommen, den wir als die Wertsetzung bezeichnen . . . Jedenfalls kommt erst durch diese Doppelheit eine wirkliche Wertung zustande: erstens muß das Subjekt zu dem Gegen- stand in eine Beziehung, die meist emotional, das heißt gefühlsmäßig oder willensmäßig ist, eintreten, zweitens muß aber diese Beziehung als solche bejaht, anerkannt, das heißt als Wert gesetzt werden." Beliebiges Lustgefühl oder Begehren für sich bedeutet noch keinen Wert. Umgekehrt „gibt es auch Wertsetzungen, denen kein Lustgefühl oder Begehren voraufgegangen ist. Ich kann eine Bach'sche Fuge als Wert anerkennen, ohne daß sie in meiner momentanen Stimmung mir Lust erregte, oder daß sie mein Begehren, sie zu hören, erweckte.'' Es ist „eine unvollständige oder, wie wir auch sagen können, eine über- nommene Wertung . . ., die im Gegensatz zur erlebten Wertung steht, das heißt einer solchen, bei der eine wirkliche Wertgrundlage vorhanden ist". 2 Wie bereits erwähnt^ werden die sich so ergebenden beiden Komponenten des Werterlebnisses als „Stellungnahmen", das Wert- erlebnis selbst demgemäß als „Stellungnahme zu einer Stellungnahme" oder als „sekundäre Stellungnahme" beschrieben.* Es möchte entbehrlich sein, bei der technischen Verwendung des Ausdruckes „Stellungnahme" hier nochmals prinzipiell zu verweilen. Rechnet man, wie billig, auch die Urteile zu den „Stellungnahmen", so legt das Wort immerhin den Gedanken nahe, auch unser Urteils- gefühl als solche „sekundäre Stellungnahme" aufzufassen, bei der das Voraussetzungsurteil den ersten, das darauf gegründete Gefühl den 1 R Müller-Freienfels, „Gnindzüge einerneuen Wertlehre", Annalen der Philosophie. Bd. I, Leipzig 1919, S. 321 f. 2 A. a. 0., S. a22 f. 8 Oben S. 45. * ,Gnmdzüge", besonders S. 328 f. zweiten Schritt ausmachen könnte. Aber Eigenart und Bedeutung der Urteilsgefühle dürfte unserem Autor kaum näher getreten sein als manch anderem Bearbeiter der Werttheorie in den letzten 25 Jahren, — vielleicht schon deshalb, weil er das Charakteristische des Urteils mehr im Ausdruck als im Erlebnis zu suchen scheint.^ Daß überdies nach der Auffassung unseres Autors eher umgekehrt das Gefühl den ersten, das Urteil den zweiten Schritt ausmachen müßte, das beleuchtet bestens etwa das Paradigma eines Kunstgegenstandes, auf den man des Wohlgefallens wegen Wert legt, das er erregt. „Ein Bild gefällt uns, erregt unsere Lust: das ist die primäre;^ Stellungnahme. Zum ästhetischen Wert wird jedoch die Lust (und damit auch das sie erregende Bild) erst, indem ich jener Lust meine Aufmerksamkeit zuwende, sie bejahe, kurz wiederum Stellung nehme. Der negative Fall offenbart die Doppelheit des Prozesses am deutlichsten. Jenes Bild erregte vielleicht nur meine sinnliche Lust, schmeichelte niederen Instinkten und wird darum in sekundärer Stellungnahme als »Kitsch« verworfen".*^ „Es ist richtig", liest man an anderer Stelle ^ „ daß ich in einer Landschaft nur solche Gegenstände apperzipiere, die mein »Interesse«, also eine emo- tionale Stellungnahme erregen; sie werden indessen erst zu Werten, wenn ich diese emotionale Stellungnahme besonders bejahe." Man wird nicht in Abrede stellen können, daß der Analogie solcher Beispiele ganz außerordentlich viele Erlebnisse des Wertgebietes folgen. Nur daß es dem Autor gelungen sein sollte, mit Hilfe des Ter- minus „Stellungnahme" dem Begriffe seiner „Wertgrundlage" eine All- gemeinheit zu erteilen, die über das Fühlen und Begehren noch hinaus- reichte, wird schwerlich zuzugeben sein. Der Verfasser hat dabei „jene Stellungnahmen" im Auge, „durch die wir einen Vorstellungsinhalt als »neu«, als »fremd«, als »groß«, als »erhaben«, als »wirklich«, als »unreal«, als »denselben« und so weiter charakterisieren"*, auch wohl „Zustände wie die Aufmerksamkeit, das Interesse und verwandte Phänomene"^ In der Tat kann, „daß etwas »neu« oder »alt« ist, . .. öfters ganz verschiedene Bewertungen bedingen", aber näher, wie der Autor selbst hinzufügt, etwa nur, „je nachdem die »Neuheit« oder das »Alter« erwünscht sind. Denn auch diese Stellungnahmen verquicken sich mit Begehrungen" ^ Warum könnten dann diese Begehrungen nicht schon für sich als „Grundlagen" ausreichen? „Daß etwas »wirk- lich« oder »unwirklich« ist", fährt der Autor fort, „ist niemals in der Empfindung oder der Vorstellung gegeben, ist vielmehr eine Charakte- risierung derselben durch das Ich, eine »Stellungnahme«. In all' diesen Fällen käme unser Begriff der Stellungnahme etwa auf eine psycho- logische Erklärung des erkenntnistheoretischen Begriffs der »Kategoriec 1 A. a. 0., S. 327. 2 Vgl. a. a. 0., S. 329. 3 A. a. 0., S. 349. * A. a. 0., S. 326. 5 A. a. 0., S. 326 t 6 A. a. 0., S. 326. *;1