1 *: t< -^ 5^ 60 II. Die Weiterlebnisse. § 6. Denk- und insbesondere Urteilsgefühle. 61 m ■*<*f| Wertobjekt, obwohl als seiend, respektive nichtseiend in Betracht gezogen, doch weder als seiend noch als nichtseiend in Anspruch genommen werden kann, sodaß es höchstens ein Begehrungsobjekt aus- macht, übrigens aber ein solches durchaus nicht ausmachen muß, wenn die obigen Ausführungen^ im Rechte waren. Natürlich verbietet sich bei solchen Potentialwerten die Anwendung des Kausalgedankens vollends von selbst, und die endgültige Ablehnung desselben zeigt sich so von den verschiedensten Seiten gesichert. In betreff dessen aber, was an seine Stelle zu setzen ist, mag immerhin, wie oben, auf die Analogie der Wahrnehmung rekurriert werden, wenn man nur erst auch hier die Unzulänglichkeit der Kausal- auffassung erkannt hat. Dazu bedarf es aber kaum einer längeren Über- legung; es ist ja eigentlich selbstverständlich, daß, wenn zum Beispiel ein leuchtendes Ding in mir ein Erlebnis hervorruft, dieses Erlebnis das kausierende Ding noch keineswegs zum Gegenstande haben muß, zumal nicht seiner tatsächlichen Existenz nach, indes es für den Zustand dessen, der das Ding „sieht", ganz wesentlich ist, daß er an das Dasein dieses Dinges glaubt. Jede Wahrnehnmng ist eben ihrem Wesen nach vor allem ein Urteil^ und daß das, dessen Dasein dieses Urteil erfaßt, mit diesem Urteilserlebnis auch kausal verbunden ist, das spielt, so wichtig es sonst auch sein mag, doch hinsichtlich der Bezogenheit des Urteils gerade auf diesen Gegenstand strenggenommen gar keine Rolle.[^^] Nun sind aber weiter unsere obigen Beispiele geradezu von Fällen ausgegangen, wo das Objekt des Wertgefüliles wahrgenommen sein konnte. Für solche Fälle ergibt das eben über die Wahrnehmung Bemerkte die geradezu selbstverständliche Konsequenz, daß, wenn sich da an den Gegenstand der Wahrnehmung ein Gefühl schließt, die Verbindung nicht wohl durch etwas anderes als eben das Wahrnehmungsurteil hergestellt sein könne. Daß ein intellektuelles Erlebnis ein emotionales mit sich führt, darin liegt ja nicht die geringste prinzipielle Schwierigkeit. Nur wie ein Gefühl an eine dem Subjekte äußere Wirklichkeit gleichsam heranreicht, stellt sich als ein Problem dar. Es findet seine Lösung, indem sich das Wahrnehmungsurteil als Vermittler betätigt. Das Rätsel freilich, wie unser Urteilen es eigentlich anfängt, sich eine Wirklichkeit gleichsam zu eigen zu machen — ob es eine äußere oder auch nur eine innere Wirklichkeit ist, dürfte dabei um vieles weniger verschlagen, als man so oft meint — , ist dadurch der Lösung nicht näher gebracht; einer solchen Aufgabe darf aber eine werttheoretische Untersuchung sich billig für überhoben erachten. [^*] Natürlich ist aber die Eignung, ein Gefühl im Gefolge zu haben, so wenig wie die Fähigkeit, sich auf eine Wirklichkeit zu beziehen, auf Wahrnehmungsurteile beschränkt : man darf daher auch von anderen Urteilen erwarten, daß sie Gefühle mit Gegenständen versehen. Ob dabei diese Gegenstände als existierende oder als nichtexistierende in Frage 1 Vgl. S. 41 f. 2 Vgl. »Über die Erfahrungsgrundlagen unseres Wissens", § 3. kommen, hängt dann nur davon ab, ob das betreffende Urteil affirmativ oder negativ ist. Die der Kausalauffassung aus der Eventualität der Nichtexistenz erwachsende Schwierigkeit entfällt jetzt restlos, da ein negatives Urteil als Erlebnis dem affirmativen in keiner Hinsicht nach- steht, auch nicht in der Fähigkeit, ein Gefühl mit sich zu führen. Ob ferner das Urteil wahr oder irrig ist, kann, was das begleitende Gefühl anlangt, nicht wohl etwas verschlagen; auch im Falle eines affirmativen Existenzurteiles braucht also das Objekt des Wertgefühles keineswegs zu existieren. Ebensowenig kann eine Störung darauf zurückgehen, daß das Wertobjekt einmal statt in einem Existenz- in einem Bestand- objektiv, gleichviel ob positiver oder negativer Qualität, erfaßt wird, so daß, wenn wir zunächst noch vom letzten unserer obigen para- digmatischen Beispiele absehen, der für die Wertgefühle charakteristische Sachverhalt zusammenfassend so beschrieben werden kann: Jedesmal wird die Existenz oder der Bestand eines Gegenstandes durch ein Urteil erfaßt, an das sich ein Gefühl, eben das Wertgefühl, ausreichend eng anschließt, daß der beurteilte Gegenstand zugleich auch den Gegenstand des Gefühles abgeben kann. Ein Gefühl dieser Art wird passend Urteils- gefühl heißen dürfen, so daß sich nun auch sagen läßt: die Wertgefühle sind nicht nur Seinsgefühle, sondern (allerdings mit einem sogleich aus- zusprechenden Vorbehalte verstanden) auch Urteilsgefühle ^ wobei sich das Urteil als das adäquate Erfassungs mittel für das den Wertgefühlen charakteristische Sein der Wertgegenstäude darstellt. Dieser Beschreibung fügen sich allerdings jene Potentialwert- erlebnisse nicht, die, obwohl atich für sie der Wertgegenstand nach seinem Sein respektive Nichtsein in Betracht kommt, doch nicht mit der Tatsächlichkeit des Seins respektive Nichtseins rechnen. Aber da ist das Werterlebnis, auch sofern es kein Begehren, sondern gefühls- artig ist, doch kein eigentliches, wenigstens kein ErnstWertgefühl^ sondern ein Phantasiegefühl. Das Mittel, durch das dieses sich gleichsam seines Gegenstandes bemächtigt, ist kein Urteil, sondern eine Annahme^, die hier wie sonst so oft^ Urteilsstelle vertritt. Man wird kaum irregehen, wenn man hier auch das Phantasiewertgefühl als eine Art Surrogat für ein Ernstwertgefühl betrachtet, daraufhin diesem die Stellung der 1 Wunderlicher Weise ist dieser schon 1894 („Psych, eth. Unters, usw.", § 8) eingenommenen Position der Vorwurf gemacht worden, daß sie „auch die sinn- liche Annehmlichkeit und Unannehmlichkeit (die »Vorstellongsgefühle«) nicht gattangsmäßig von den Wertgefühlen unterscheidet" (A. Boltnnow, „Über den Strukturznsammenhang zwischen dem ästhetischen Wertgefühl und seinen intellektuellen Voraussetzungen". Berliner Diss. 1909, S. 6). Eher schiene es mir einen Mangel an „gattungsmäßigem Unterscheiden" zu verraten, wenn schon der Titel dieser Schrift von „ästhetischem^ Wertgefühl" handelt. Über „ästhetischen Wert" vgl. immerhin unten IV, § 7. Übereinstimmendes zum Anteil des Urteils bei C. Stumpf verzeichnet meine Abhandlung „Über ürteilsgefühle, was sie sind und was sie nicht sind" (Arch. f. d. ges. Psychol., Bd. VI, 1905, S. 27, auch Ges. Abhandl., Bd. I, S. 584); auf Einschlägiges bereits bei F. Brentano* macht A. Boltunow aufmerksam (a. a. 0., S. 6). 2 Vgl. „Über Annahmen" 2, S. 332 ff. 3 A. a. 0., S. 357 f.