54 II. Die Werterlebnisse. § 5, Wertgefühle als Seinsgefühle. 55 li^ > Ä- ^ lichung nach noch Unbestimmten, im Grunde also doch wieder auf Existenz des Begehrungsobjektes gerichtet. Es dürfte der Charakteristik der sich hier bietenden Sachlage dienlich sein, auch des Gegensatzes zu gedenken, in dem in Bezug auf den sozusagen obligatorischen Anteil des Existenzmomentes die Vor- stellungen zu den Begehrungen stehen. Ich muß natürlich etwas vor- stellen, wenn ich vorstelle ; aber auf die Existenz dieses Etwas braucht beim Vorstellen in keiner Weise Bedacht genommen zu werden. Betrachten wir nun darauf hin die Hauptwerterlebnisse, so wissen wir zwar, daß diese nicht etwa mit den Begehrungen zusammenfallen, daß sie viel- mehr Gefühle sind. Darin aber gleiclien sie den Begehrungen durchaus, daß es auch bei ihnen ganz und gar auf die Existenz (respektive Nicht- existenz) des Wertobjektes ankommt. Das Kind legt Wert auf sein Spiel- zeug, der Holzschnitzer auf sein scharfes Messer; und auch hier ist es eine genauere Besclireibung, wenn man sagt, daß dieses Wertlegen sich der Existenz, hier des angemessen beschaffenen Messers, dort des angemessen beschaffenen Spielzeuges (wobei der Besitz mit zu dieser Beschaffenheit zu zählen ist) zuwendet. Daß unter Umständen an die Stelle der Existenz auch wohl die Nichtexistenz treten kann, ist selbst- verständlich; zur Illustration genügt der allgemeine Hinweis auf die verschiedenen großen und kleinen Übel, auf deren Nichtdasein Wert- gefühle so gut gerichtet sind wie Wünsche und sonstige Begehruugen. [^°] Kann aber nun etwa behauptet werden, daß, was in dieser Hin- sicht von den Wertgefühlen gilt, auch von allen übrigen Gefühlen zu- trifft? Mau denke noch einmal an die sinnlichen Gefühle, etwa die An- nehmlichkeit des warmen Zimmers. Daß ich auf die Zimmerwärme Wert legen kann, weil sie angenehm ist, und daß dieses Werterlebnis etwas anderes ist als jene Annehmlichkeit, wissen wir bereits.^ Halten wir uns jetzt ausschließlich an dieses letztere Gefühl, so ist natürlich außer Zweifel, daß die wirkliche, also die existierende Wärme unerläßlich ist, um diese Annehmlichkeit zu erleben ; dennoch wird hier niemand finden, das Angenehme sei eigentlich nicht die Wärme, sondern deren Existenz, und auch sonst wäre der vorliegende Sachverhalt nicht getroffen, wenn ihn jemand so beschreiben wollte, als wäre das Annehmlichkeitsgefühl hier irgendwie auf die Existenz der Wärme gerichtet. Übrigens gibt es ein Gefühlsgebiet, wo der Gegensatz zu den Werterlebnissen noch viel deutlicher ist; ich meine die ästhetischen Gefühle. Auch sie wenden sich manchmal an ein Wirkliches; so beim Naturschönen, ebenso, obwohl doch auch wieder in ganz anderer Weise, wo ein wirkliches Gemälde, eine wirkliche Musikaufführung das Gefühl . erweckt. Aber der Künstler hat von seiner Schöpfung einen ästhetischen Eindruck auch schon zur Zeit, da sein Werk nur in seiner Phantasie, also, genauer gesprochen, solange es noch gar nicht existiert, und bereits der mäßig Musikbegabte spürt Gefallen an einer Melodie nicht nur, wenn er sie hört, sondern auch schon, wenn er sie sich in Gedanken vergegen- wärtigt. Dabei sind es aber natürlich nicht etwa die Vorstellungen, die gefallen, sondern jedesmal nur das Vorgestellte. Wie unwesentlich hier also die Existenz dieses Vorgestellten ist, kann niemand verkennen — , und dabei ist das ganze Gebiet des Erdichteten noch gar nicht aus- drücklich einbezogen, das sogar schon das Sprachgefühl des täglichen Lebens zum Wahren, respektive Wirklichen in Gegensatz stellt. So ergibt sich denn, daß die Gefühle, die uns als Wertgefühle entgegengetreten sind, sich gegenüber anderen Gefühlen durch ein besonderes Verhältnis kennzeichnen, in dem sie sich zur Existenz ihrer Objekte befinden.* Auf dieses eigentümliche Verhältnis könnte man durch die Benennung „Existenzgeführ hinweisen, die dann gestatten würde, die hier auf- geworfene Frage nach der Natur der als Werterlebnisse anzuerkennenden Gefühle durch die Behauptung zu beantworten : Wertgefühle sind nicht Gefühle kurzweg, sondern speziell Existenzgefühle. ^ In der Tat vermag eine solche Aufstellung dem wohl größten und praktisch wichtigsten Teile des Wertgebietes Rechnung zu tragen; den- noch ist eine Erweiterung erforderlich, weil das Wertgebiet über das , Gebiet der Existenz hinausreicht. Das erhellt deutlichst daraus, daß I Gegenstände mathematischer Betrachtung keineswegs in jedem Sinne außerhalb der Möglichkeit liegen, dem Wertgesichtspunkte unterstellt zu werden. Es ist ganz alltäglich, einer komplizierten Rechenaufgabe gegenüber zu wünschen, daß die Rechnung , ausgehen" möchte, sich an einer „eleganten" Ableitung zu freuen und dergleichen. Das ist* ohne Zweifel ein „Wertlegen", für das aber der Natur der in Frage kommenden Gegenstände wegen nicht Existenz, sondern bloß Bestand^ in Betracht kommen kann. Manchmal zeigt sich der Wert zwar an Wirklichem, also an Existierendem, aber doch so, daß er ganz wohl auch bloß auf Ideales bezogen werden kann, dem als solchem dann wieder nur Bestand zukommt. Bei einer Kopie wird man meist Wert auf die Ähnlichkeit mit dem Original legen: soweit es sich dabei um die bestimmte Beschaffenheit dieser Kopie handelt, betrifft der Wert auch hier eine Existenz; die Ähnlichkeit aber, auf die doch eigentlich Wert gelegt ist, kann als solche nicht existieren, sondern nur bestehen. Gelegentlich mag sich der Übergang von der Existenz zum Bestand schon etwas formalistisch anlassen: so etwa, wenn man statt auf ein gewisses wirkliches, also existierendes Buch Wert zu legen, auf die Tatsache Wert legt, daß es existiert. Die Tatsache als solche aber kann jedenfalls nicht wieder existieren, sondern nur bestehen; läßt sich also von ihr Wert prädizieren, so ist, wie wenig wichtig das gegebenen Falles auch sein mag, damit wieder dargetan, daß der Wert nicht etwa prinzipiell auf Existenz beschränkt ist. Als besonders wichtig wird sich uns erweisen,^ daß man auch H* 1 Vgl. oben S. 50. 1 Vgl. auch A. Messer. „Psychologie". Stuttgart und Berlin 1914, S. 301f. 2 ..Psych, eth. Unters, z. Werttheorie", S. Uff. 3 Über den Gegensatz von Existenz und Bestand vgl. ,Über Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit" [Register]. 4 Vgl. unten II, § 8.