22 I. Vonintersuehungen. § 3. Wert und Nützlichkeit. 23 Sprachgefühl über eine gewisse Gegensätzlichkeit zwischen „nützlich" und „angenehm" keinen Zweifel aufkommen. Dabei fällt noch nicht einmal alles zwanglos unter den Gesichtspunkt des Angenehmen, was diesem sonst darin verwandt ist, daß es sich in ähnlicher Weise wie dieses nicht in das Nützliche einbeziehen läßt und gleichwohl Wert haben kann, und noch dazu besonders hohen. Ein Kunstwerk, etwa ein Gemälde oder eine Skulptur, kann ja von hervorragendem Werte sein; aber zu, den nützlichen Dingen wird es höchstens derjenige zählen können, der durch Verkauf desselben zu Geld zu kommen hofft. Wem solche Gedanken fern liegen, der könnte das Kunstwerk immer noch eher angenehm als nützlich nennen, wenn das Wort „angenehm" nur sozusagen gut genug dazu wäre. Es war im obigen wiederholt vom Werte der Freundschaft die Rede ; wer aber könnte sagen, wozu Freundschaft oder der Freund als solcher nütze ist? Daß sich ein Freund sehr häufig als sehr förderlich, unter Umständen als unentbehrlich erweisen kann, soll darum natürlich nicht angezweifelt werden; sicher aber ist, daß derlei mehr oder weniger äußerliche Vorteile die Freundschaft nicht ausmachen und diese im Prinzip auf keinerlei Vorteile dieser Art rechnet. Noch leichter mögen solche Zufälligkeiten etwa bei einem Andenken auszuschließen sein, das in den meisten Fällen ganz nutzlos sein wird, aber trotzdem hohen Wert haben kann. Nebenbei ist vielleicht schon hier anzumerken, daß weder beim Freunde noch beim Andenken jenes Lustgefühl namhaft zu machen ist, um deswillen man auf das Augenehme wie auf das Schöne Wert zu legen scheint. Ist durch das Dargelegte der Mangel an Koinzidenz zwischen nütz- lich und wertvoll auch bereits erwiesen, so empfiehlt es sich doch auch, diesem Mangel noch etwas tiefer auf den Grund zu gehen. Er ist wohl am leichtesten zugänglich in der schon dem täglichen Leben geläufigen Gegensätzlichkeit von nützlich und angenehm. Die Rose oder vielleicht noch deutlicher den Rosenduft nennt man angenehm; die Werkzeuge, deren der Gärtner bedarf, um Rosen zu pflanzen und zu ziehen, nennt , man nützlich. Nützlich ist eben ganz allgemein, was sich als Ursache oder Bedingung eines Angenehmen erweist, etwas, das ein Mittel zum Angenehmen darstellt. Nun greift aber das Nützliche auch über das Gebiet des Angenehmen hinaus, indem es, um bei unseren obigen Bei- spielen zu bleiben, sich auch dem Schönen und nicht minder dem An- denken, ja selbst der Freundschaft gegenüber einstellen kann. Nützlich sind ja dem Künstler die Geräte, die sein Handwerkszeug ausmachen, dem Zuschauer etwa auch sein Opernglas. Nützlich ist, was dazu ver- hilft, ein Andenken vor schädlichen Einwirkungen oder etwa vor fremder Habsucht zu schützen. Nützlich ist mir am Ende auch, was einen bösen Schein von mir fernhält oder zu zerstören gestattet, der sonst meinen Freund mir entfremdet hätte. Ausschlaggebend ist hier augenscheinlich überall das Moment der Mittelbarkeit, das dem Nützlichen als solchem niemals fehlt, indes der Wert daran, wie sich gezeigt hat, keineswegs gebunden ist. Nun haben aber die Beispiele vom Andenken und vom Freunde im gegenwärtigen Zusammenhange noch ein besonderes Interesse, indem ihnen gegenüber die Frage entsteht, was da wohl beim Andenken oder bei der Freundschaft dieselbe Rolle spielt, wie bei jenen beiden ersten Beispielen das Angenehme und das Schöne. Wäre etwa der Zweck nicht angenehm, dann wäre, das ist ja selbstverständlich, das Mittel insofern auch nicht nützlich. Das Angenehme ist also unter den gegebenen Umständen für die Nützlichkeit konstitutiv und man darf fragen, was etwa beim Andenken oder bei der Freundschaft an die Stelle dieser konstitutiven Annehmlichkeit tritt. Soviel ich sehe, gibt es hier keinen anderen Bescheid als den, daß etwa die Aufbewahrungsgelegenheit im Falle des Andenkens nur deshalb für nützlich gelten darf, weil das Andenken eben von Wert ist, — und bei der Freundschaft wird es schwerlich anders bewandt sein. Damit ist aber gesagt, daß wir es hier mit Nützlichkeiten zu tun haben, die ganz direkt den Wert bereits zur Voraussetzung haben, so daß, hier den Wert in der Nützlichkeit bestehend zu finden, augenscheinlich einen vitiösen Zirkel in sich schließt. Subsumiert man, was kaum gewagt und später^ noch ausdrücklich zu rechtfertigen sein wird, auch Angenehmes, Schönes, Wahres unter dem Gesichtspunkt des Wertvollen, dann darf der Vorwurf des Zirkels auf jeden Versuch ausgedehnt werden, den Wert durch den Hinweis auf Nützlichkeit zu bestimmen. Daß man, wie mir entgegengehalten worden ist,^ die Nützlichkeit mit Hilfe des Zweckgedankens charak- terisieren kann, wird daran kaum etwas ändern. Das liegt an der noch zu berührenden^ Natur des Zweckgedankens, die ihn an den Wertgedanken bindet. Hier scheint nur der Umstand irreführen zu können, daß man etwas auch als Mittel zu einem sozusagen bloß hypothetischen Zwecke betrachten, insofern also die Frage, ob dieser Zweck auch Wert habe, in suspenso lassen kann. Aber dann hat man es eben auch nur mit einem sozusagen hypothetischen Nutzen zu tun, dessen Abhängigkeit vom Wert sich eben in diesem hypothetischen Charakter verrät. Zusammenfassend läßt sich also sagen: Nützlichkeit konstituiert und definiert den Wert nicht, einmal weil es Wertvolles gibt, das nicht nützlich ist, dann aber auch, weil es Nützliches gibt, das bereits den Wert zur unerläßlichen Voraussetzung hat, falls nicht alle Nützlichkeit an Wert gebunden ist. Immerhin wird man aber auf das Formale einer solchen Widerlegung nicht allzuviel Gewicht zu legen brauchen, sofern dabei am Ende doch die Definition der Nützlichkeit einen wesentlichen Anteil hat, diese Definition aber von arbiträrem Dafürhalten so schwer frei sein mag als sonst eine Definition. Ganz unabhängig dagegen von allfälligen Feinheiten in dieser Hinsicht bleibt die Tatsache, daß die Betrachtungsweise, aus der heraus etwas als nützlich qualifiziert wird, von der, aus der heraus man etwas wertvoll nennt, nicht wohl erheb- 1 Vgl. nnten IV, § 7. . . ^ 2 Vgl. W. Strich, „Das Wertproblem in der Philosophie der Gegenwart , Berlin 1909, S.'2ff. 3 Vgl. nnten IV.