148 IV. Der Wertgedanke. Wertirrtümer, respektive der diesen gegenüberstehenden sogenannten falschen oder eingebildeten Werte vor. Näher soll hier nicht von den immerhin nicht seltenen Fällen die Rede sein, wo man von Richtigkeit, respektive Falschheit der Werte redet, aber eigentlich den Wert von Werthaltungen im Auge hat, den R. Müller-Freienfels, seiner allgemeinen Auffassung der Werttatsachen folgend, konsequent als neue „Stellung- nahme zu den beiden den Wert sonst schon ausmachenden Stellung- nahmen, also als „tertiäre Stellungnahme" beschreibt.¹ In weit minder entlegenem Sinne geschieht es ohne Zweifel, daß man etwa den Wert eines Amuletts, eines Zaubertrankes, einer gefälschten Urkunde und der- gleichen für bloß eingebildet erklärt. Ich habe solchen Tatsachen einst2 ausschließlich vom Standpunkte des persönlichen Wertes aus gerecht zu werden versucht, aber schon damals den Versuch nicht als ohne jeden Rest gelungen ansehen können. Seither hat der Fortgang der Forschung manches in anderem Lichte betrachten gelehrt und speziell in Sachen der Wertirrtümer, wenn ich recht sehe, das Verlassen des einst von mir eingenommenen Standpunktes in einer Hinsicht unent- behrlich gemacht, die besonders deutlich erkennen läßt, wie wenig der natürliche Wertgedanke mit dem Gedanken des persönlichen Wertes ein für allemal zusammenfällt. Dies ergibt sich bereits, wenn man den Wertirrtümern gegenüber den ohne Zweifel nächstliegenden Standpunkt einnimmt, indem man von der in der Tat selbstverständlichen Voraussetzung ausgeht, daß Wahrheit und Irrtum jedenfalls eine Angelegenheit des Urteils ist. Das scheint zu bedeuten, daß auch die Wertirrtümer nicht auf emotionale, sondern ausschließlich auf intellektuelle Grundlagen zurückgeführt werden müssen. Als solche Grundlagen bieten sich ungesucht die intellektuellen, genauer die Urteilsvoraussetzungen unserer Werterlebnisse dar und es fällt in der Tat nicht schwer, dies an mannigfaltigen Beispielen zu verifizieren, bei denen falsche Voraussetzungsurteile zweifellos das Entscheidende sind.4 Wer also etwa ein Wunderheilmittel oder einen Talismann werthält, befindet sich damit in einem Irrtum, der ohne Zweifel zunächst darin besteht, daß er dem betreffenden Dinge Eigen- schaften zuschreibt, die es in Wahrheit nicht besitzt. Daß mit der Berechtigung der Voraussetzung auch die der Werthaltung stehe und falle, gilt dabei für selbstverständlich. Ist nun aber die Selbstverständ- lichkeit oder auch nur die Korrektheit einer solchen Konsequenz ein- zusehen, solange man sich bloß an den Gedanken des persönlichen Wertes hält? Besteht aller Wert in der Eignung eines Objektes, das Interesse eines Subjektes auf sich zu ziehen, mit welchem Rechte könnte 1 „Grundzüge einer neuen Wertlehre" a. a. O., S. 357 ff., von den daselbst mit zur Sprache gebrachten Wertkonflikten darf hier vollends abgesehen werden. 2 Vgl. „Psych. eth. Unters. z. Werttheorie", § 26. 3 Vgl. a. a. O., S. 80 f. 4 A. a. O., S. 77 ff., vgl. auch Chr. v. Ehrenfels, „System der Wert- theorie", Bd. I, S. 102 ff., 174 ff., sowie einigermaßen J. Kl. Kreibig, „Psycho- logische Grundlegung eines Systems der Werttheorie", Wien 1902, S. 7, 9.