128 IV. Der Wertgedanke. tivitätsgrenzen stattfindet [36]. Dies vorausgesetzt, kann man einfach sagen: der Fehler des Potentialwertbegriffes besteht augenscheinlich darin, daß er völlig athetischer Natur ist. Das obige Gegenargument von der mangelnden Vergänglichkeit verliert sofort seine Kraft, wenn etwa die Existenz eines Wertsubjektes in den Begriff des persönlichen Wertes einbezogen ist. Darin liegt ohne Zweifel etwas wie eine partielle Rückkehr zum Aktualwertbegriff; man könnte das eine Aktualisierung des Potentialbegriffes nennen und nun die Frage erheben, was alles in eine solche Aktualisierung einbezogen werden muß, um zu einem natürlichen Wertbegriffe zu führen. Zu diesem Ende muß vor allem ein Punkt ins Reine gebracht sein. Das, was eben Aktualisierung genannt worden ist, hat sich uns als ein Fortschreiten auf dem Wege von der Potentialität zur Aktualität dargestellt. Darf man aber sagen, daß von der Potentialität zur Aktualität, oder, einfacher ausgedrückt, von der Möglichkeit zur Tatsächlichkeit mehr als ein einziger Schritt getan werden muß oder kann, daß es also, von der Möglichkeit ausgehend, eine Annäherung an die Tatsächlichkeit gibt, die nicht auch schon das Erreichen dieser Tatsächlichkeit wäre? Was an solcher Frage in erster Linie Beachtung verdient, ist dies, daß sie die Voraussetzung macht, Potential- und Aktualbegriff des Wertes unterschieden sich von einander nicht anders als Möglichkeit und Tatsächlichkeit. Das trifft, wie im Grunde schon aus den obigen Ausführungen über thetische Prädikation zu entnehmen war, in Wahrheit nicht zu: Wertgehalten werden, um der Einfachheit halber hier nur das primäre Werterlebnis hervorzuheben, steht dem Wertgehalten werden können nicht bloß so gegenüber, wie das Objektiv „O ist tatsächlich P" dem davon nur modal verschiedenen Objektiv „O kann P sein". Das Wertgehalten werden können ist aus- schließlich in der Beschaffenheit des betreffenden Objektes begründet: das Wertgehalten werden dagegen schließt jedenfalls auch eine Existenz in sich. " Daß dies beim Wertgehaltenwerden können, oder allgemein beim Objektiv „O ist möglicherweise P" keineswegs der Fall ist, darf für ohne weiteres selbstverständlich gelten. Daß aber auch das Objektiv ,,O ist tatsächlich P" an sich durchaus nicht eine Existenz verlangt, um gültig zu sein, erkennt man, indem man etwa von dem Objektiv „das Viereck kann zwei Diagonalen haben "1 zu dem Objektiv „das Viereck hat tatsächlich zwei Diagonalen" übergeht, wo mit „das Viereck" der unvollständige Gegenstand gemeint ist, dem als solchem Existenz nicht zukommen kann. Nun mag freilich, indem wir auf das Wert- gehalten werden die Anwendung machen, durchaus nicht selbstverständlich sein (und wird unten noch zur Sprache kommen), daß, was wertge- halten wird, auch existiert. Aber auch dann ist für den Anteil der Existenz immer noch gesorgt, sofern diese dem Werterlebnis nicht fehlen kann, wo vom tatsächlichen Wertgehalten werden mit Recht soll 1 Daß es sich da naturgemäß nur um Auchmöglichkeit (vgl. „Über Mög- lichkeit und Wahrscheinlichkeit", S. 100) handeln kann, tut natürlich nichts zur Sache.