§ 1. Aktual- und Potentialwertbegriff. 125 Um so nachdrücklicher dürfte dagegen ein anderer Umstand gegen den in Rede stehenden Bestimmungsversuch Zeugnis ablegen. Den Gedanken, Wert habe ein Objekt, sofern es Objekt eines aktuellen Werterlebnisses ist, haben wir aufgeben müssen, weil dadurch jede Konstanz an Werten in Frage gestellt wäre. Umgekehrt wird die Berufung auf die bloß möglichen Werterlebnisse für unzureichend zu gelten haben, sofern dadurch jede Vergänglichkeit bei Werten aus- geschlossen ist. Denn Möglichkeit, mag sie apriorisch oder empirisch erkennbar sein, hängt nur an der Beschaffenheit ihres Trägers¹, nicht aber an einer Zeit, in der sie entstehen oder vergehen könnte. Dagegen zeigt sich der Wert durch die Zeit keineswegs unberührt; insbesondere scheint er vergehen zu müssen, sobald das Wertsubjekt zu existieren aufhört. Von Geräten etwa, die einem ausgestorbenen Kult dienten, sagt man unbedenklich, sie hätten keinen Wert mehr. Auch jeder einzelne umgibt sich im Laufe seines Lebens mit vielerlei Dingen, die so sehr seinen besonderen Bedürfnissen angepaßt sind, daß mit seinem Leben auch ihr Wert erlischt. Soweit es sich aber um die bloße Möglichkeit handelt, für Werterlebnisse ein Objekt abzugeben, ist diese dadurch, daß die betreffenden Dinge solche Objekte tatsächlich ausgemacht haben, aufs beste gewährleistet; sie wird durch jenes Erlöschen nicht mit- betroffen und es kann keine Zeit geben, in der diese Möglichkeit, so- weit dabei nur das Objekt nach seiner Beschaffenheit in Betracht kommt, nicht zu Recht bestünde. Auch der Wert müßte dauern, wenn er durch nichts als durch diese Möglichkeit konstituiert würde. Aber ist, die Frage kann hier nicht unaufgeworfen bleiben, die Vergänglichkeit an den Werten wirklich ein stringentes Argument gegen den Potentialwertbegriff? Daß der Wert mit dem Wertsubjekt vergeht, das deutet, so könnte man sagen, nur darauf hin, daß ein Wert ohne Wertsubjekt eben unmöglich ist. Existiert das Wertsubjekt nicht, dann fehlt dem Objekt auch die Möglichkeit, wertgehalten oder sonst zum Objekt eines Werterlebnisses dieses Subjektes gemacht zu werden: Wert und Möglichkeit gehen also auch für den Fall des Nichtseins ganz im Sinne des Potential wertbegriffes Hand in Hand. Inzwischen begeht, wer so denkt, einen Irrtum, zu dessen Aufdeckung ein etwas genaueres Achten auf das Wesen der Möglichkeit unentbehrlich, aber auch ausreichend ist. Es kommt dabei darauf an, eine Bedingung tatsächlicher Existenz nicht für eine Bedingung der Möglichkeit zu halten, eine Forderung, die zunächst an einem indifferenten Beispiel leicht klar zu machen ist. Von einer Pendeluhr darf man mit Recht sagen, daß sie unmög- lich gehen könne, falls ihr das treibende Gewicht fehlt; man schließt daraus in natürlichster Weise, daß das Vorhandensein des Gewichtes eine Bedingung für das Gehen der Uhr, genauer also für deren wirkliches Gehen ausmacht. Nun scheint man zunächst ebenso gut auch sagen zu können: weil ohne Gewicht das Gehen unmöglich ist, deshalb ist das 1 Über den Begriff des Trägers einer Möglichkeit vgl. „Über Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit", S. 218.