§ 4. Übertragung und Vermittlung bei Werthaltungen. 107 ein solches Erlebnis das Übertragungssupplement nennen. Neben diesen konstitutiven Nebenvoraussetzungen kann es dann ganz wohl auch noch solche geben, deren Anteil an der resultierenden Übertragung nur ein mehr oder minder erheblich modifizierender ist, namentlich was die Stärke der sich ergebenden übertragenen Werthaltung angeht: die Wert- haltung wird verschieden ausfallen, je nachdem der Vorrat der bereits vorhandenen O größer oder kleiner ist, das Hinzukommen weiterer O für mehr oder weniger wahrscheinlich gelten darf, ebenso das Auftreten des O eine größere oder geringere Möglichkeit für das Auftreten des P mit sich führt und so fort. 1 Es soll hier solchen Details nicht mehr nachgegangen, sondern nur noch versucht werden, etwas über die Natur der Relation auszu- machen, durch die O mit P verbunden sein muß, wenn eine Übertragung der Werthaltung vom P auf das O sich vollziehen soll. Es fällt sofort auf, daß man es da nicht mit bloß einer Relation zu tun hat, sondern mit mehreren. Es ist allgemein bekannt, daß sich die Werthaltung der Wirkung (des Bedingten) auf die Ursache (die Bedingung), vom Teil auf das Ganze, von der Eigenschaft auf deren Träger überträgt. Aber es ist auch schon aufgefallen, daß die Übertragung unter Umständen sozusagen die entgegengesetzte Richtung einschlägt, so insbesondere im Falle der Relation zwischen Ganzem und Teil. In Zeiten, da für die Konservierung ausgegrabener Altertümer noch nicht ausreichend Sorge getragen war, konnte man oft von Reisenden hören, die sich etwa Stücke alter Mosaike als „Andenken" mitnahmen: augenscheinlich wurden da die Stücke um des wertvollen Ganzen willen wertgehalten. Ebenso wird, wer einer bestimmten Summe Geldes etwa zu einem Kaufe bedarf, auch jeden Teilbetrag dieser Summe werthalten. Daß die Werthaltung eines ohne Rücksicht auf seine Eigenschaften erfaßten Dinges auf dessen Eigenschaften überginge, ist mit Rücksicht auf die Indifferenz, die einem Dinge eigen sein muß, solange man auf seine Eigenschaften nicht Bedacht nimmt, kaum zu erwarten; ganz wohl aber kann eine Werthaltung von dauernden Eigenschaften auf deren Betätigungen in einzelnen Erlebnissen übergreifen. Man hat sich ja in der Ethik schon oft genug vor die Alternativfrage gestellt gefunden, ob ein Mensch gut heißt, weil er, respektive insofern er gut handelt, oder umgekehrt die Handlung gut, weil der ein guter Mensch sein muß, der sie setzt. Natürlich wäre nicht ausgeschlossen, hierin zugleich einen Beleg dafür zu sehen, daß die Werthaltung nicht nur von der Wirkung auf die Ursache, sondern auch von der Ursache auf die Wirkung über- gehen kann, und auch andere Belege hierfür sind unschwer zu finden. So etwa in der verschiedenen Wertstellung, die man leicht demselben Verhalten gegenüber einnimmt, je nachdem man dem Menschen, der sich so verhält, geneigt ist oder nicht. Daß übrigens auch mit diesen Umkehrungen die Mannigfaltigkeit möglicher Wertübertragungen nicht 1 Vgl. „Psych. eth. Unters. z. Werttheorie", S. 60; Chr. v. Ehrenfels, „System der Werttheorie", Bd. I, S. 75 ff.