§ 4. Übertragung und Vermittlung bei Werthaltungen. 101 liegt mir ja, genau besehen, wirklich nichts, sondern ausschließlich daran, in das verschlossene Zimmer zu kommen. Und ohne Zweifel steht das werthaltende Subjekt dem Schlüssel charakteristisch anders gegenüber als dem Eintritt in das Zimmer. Daß es indes auch dem Schlüssel, allgemein dem Objekt O gegenüber an einer Werthaltung nicht fehlt, darüber läßt nähere Erwägung keinerlei Unsicherheit bestehen. Immerhin könnte man sich dafür freilich zunächst auf ein Argu- ment berufen, das nur scheinbar vorhältig ist. Man könnte nämlich auf Fälle hinweisen, die zwar von Haus aus Übertragungsfälle sind, bei denen aber in Folge besonderer Umstände ein P außer Betracht komme, so daß, wer dem O die Eignung abspräche, Werthaltungsobjekt zu sein, für die betreffende Werthaltung ein Objekt überhaupt nicht namhaft machen könnte. Mein Taschenmesser zum Beispiel halte ich auch zu Zeiten wert, da es nichts zu schneiden gibt, so daß das P, dem ich mein Werthalten eigentlich und im Sinn der zu prüfenden These ausschließlich zuzuwenden hätte, überhaupt fehlt. Dabei muß natürlich von dem sicherlich nicht selten verwirklichten Falle abgesehen werden, daß das Messer, das erst nur im Hinblick auf gewisse Leistungen wert- gehalten wurde, nachher wertgehalten wird ohne Rücksicht auf diese, indem aus seinem übertragenen Werte durch Ableitung" ein unüber- tragener Wert geworden ist. Aber auch wo sich eine solche wesentliche Abänderung der Sachlage nicht vollzogen hat, fehlt in Wahrheit das Werthaltungsobjekt P nicht. Ich halte das Messer freilich nicht wert im Hinblick auf eine bestimmte, als wirklich bevorstehende, dafür aber im Hinblick auf eine unbestimmte, mögliche Leistung. Es handelt sich dabei um das, was ich an anderem Orte¹ unter dem Namen des Möglichkeitswertes kurz charakterisiert und auch im vorangehenden² flüchtig berührt habe. Ist also der Tatbestand der Werthaltungsüber- tragung nur sonst ins reine gebracht, so werden uns Fälle, wie die eben behandelten zwar sicher nicht irre machen; eine besondere Beweiskraft zu- gunsten der Übertragung wird ihnen freilich nicht wohl zuzuschreiben sein. " Mit umso besserem Erfolge sind allfälligen Zweifeln an der Tat- sache der Übertragung andere Gesichtspunkte entgegenzuhalten. In erster Linie ist es die direkte Empirie, die hier deutliches Zeugnis ablegt. Die Freude, die der Forscher über die Erwerbung eines geeigneten Stückes seines Forschungsapparates und selbst das Schulkind erleben kann, wenn ihm Dinge geschenkt werden, die es für den naturgemäß gar nicht immer und vorbehaltlos geliebten Unterricht „braucht“, sind unverkennbare Belege. Es kommt hinzu, daß, wie zuvor erwähnt, das Mittel zum wertgehaltenen Zweck sich im Sinne der „Wertableitung“ vom Ausgangswerte gleichsam emanzipieren, in diesem Sinne eine unübertragene Werthaltung auf sich ziehen kann. Das Gesetz, dem das Werthalten dabei folgt, ist ganz wohl bekannt; aber es verlangt eben, daß das Objekt O, das in dieser Weise einen sozusagen selbständigen 1 Vgl. „Über Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit“, S. 82. 2 Vgl. oben S. 69.