§ 1. Zur Beschreibung der Werthaltungen. 79 So verdient das Objekt schon bei der Werthaltung ausdrückliche Beachtung und es empfiehlt sich, hier noch einer besonderen Komplikation zu gedenken, die auf die natürliche Zusammengesetztheit aller Objekte und Quasiobjekte zurückgeht, mit denen unser Werthalten zu tun hat. Richtet sich nämlich die Werthaltung auf das Objekt O und besteht dieses aus den endlich oder unendlich vielen Bestandstücken 01, 03, ...On, so werden für die Werthaltung normalerweise sicher nicht alle diese Komponenten gleich wesentlich sein. Wer eines Bleistiftes bedarf, um sich damit Notizen zu machen, dem kann es leicht einerlei sein, ob der Bleistift hart oder weich ist. Wer ein gutes Buch schätzt, das er in seinem Besitz hat, wird oft genug nicht danach fragen, in welcher Farbe es gebunden ist und so fort. So zerfallen die Bestimmungen, die den Gegenstand O ausmachen, zwanglos in Bestimmungen O', die für die Werthaltung maßgebend sind und in Bestimmungen O", die es nicht sind und die so gleichsam die unwesentliche Hülle ausmachen, die den wesentlichen Kern umgibt. Passend kann man dann vom Stand- punkte der Werthaltung aus die O' als die Kernbestimmungen, die O" als die Hüllenbestimmungen von O bezeichnen. Indem aber die Werthaltung sich gleichwohl dem ganzen Gegenstande O zu- wendet, hat es Sinn, auch diese Hüllenbestimmungen cum grano salis als Objekte der Werthaltung in Anspruch zu nehmen. Wir werden auf sie bei Betrachtung der Werthaltungsvermittlungen¹ noch zurückzu- kommen haben. Wenden wir uns nunmehr von den Gefühlsgegenständen den Gefühlen selbst zu, so ist vor allem nicht zu verkennen, daß die oben erwähnte Präsumtion von der qualitativen Gleichheit aller Gefühle (nämlich natürlich der Lustgefühle untereinander und der Unlustgefühle untereinander) sozusagen noch vor dem Versuche liegt, Akt und Inhalt am Gefühlserlebnis selbst auseinander zu halten und daher gestattet, auch bereits ohne Bezugnahme auf eine solche Unterscheidung erwogen zu werden. Was indes für sie spricht, ist schwerlich mehr als die ziemlich abstrakte Möglichkeit, für die sich empirisch darbietenden Verschiedenheiten die intellektuellen Voraussetzungen verantwortlich zu machen² und durch eine derartige „Reduktion" eine theoretisch vielleicht erwünschte Vereinfachung der Beschreibung zu erzielen. Damit ist indes vorerst jedenfalls die Verschiedenheit der Aspekte anerkannt; um aber zu einem Urteil über die ,,Reduktion" zu ge- langen, dazu bieten sich ungesucht zwei Wege dar. Einmal kann unter besonderen Umständen der nämliche (angeeignete) Gegenstand zu verschiedenen Gefühlen vom nämlichen Vorzeichen gehören: das nämliche Bild kann mein Wohlgefallen erregen und mir zugleich (viel- leicht wegen seiner Schönheit, vielleicht auch aus anderem Grunde) wert sein; dennoch ist das Gefühl des Gefallens nicht das Wertgefühl. 1 Vgl. unten III, § 4. " 2 Vgl. W. Liel, Gegen eine voluntaristische Begründung der allgemeinen Werttheorie" in den von mir herausgegebenen „Untersuchungen zur Gegenstands- theorie und Psychologie", Leipzig 1904, S. 527 ff.