72 II. Die Werterlebnisse. hinaus 1. Soweit das ohne Psychologismus zuzugeben ist, ist damit doch jedenfalls, wenn ich recht sehe, das Gebiet des Emotionalen völlig ver- lassen, auf das der Verfasser selbst den Bereich der hier in Betracht kommenden Stellungnahmen mit Recht einschränkt, und man könnte sich nur etwa neuerlich an die Urteilsgefühle gemahnt finden. Von Auf- merksamkeit und Interesse endlich konstatiert der Autor selbst mit Recht, daß sie meist nebeneinander Gefühle, Begehrungen und sonstige Stellungnahmen, wie die der Neuheit, der Fremdheit, der Überraschung und so weiter enthalten. Hinsichtlich emotionaler Stellungnahmen" wird man also wohl allenthalben mit Gefühlen und Begehrungen das Auslangen finden. " Vor allem wichtig ist es indes, Klarheit darüber zu gewinnen, mit welchem Rechte für die Werterlebnisse jene Zweiteiligkeit ihrer emotionalen Bestimmungen allgemein anzuerkennen ist, um derenwillen unser Autor von der „Stellungnahme zur Stellungnahme" spricht. Frei- lich kann es, wenn man einen Komplex K aus den Bestandstücken A und B vor sich hat, einmal auch arbiträr werden, ob man das A als unvollständiges K oder das K als sozusagen übervollständiges A bezeichnet. In unserem Falle aber kommt es doch wohl in erster Linie darauf an, ob die Werterlebnisse wirklich allemal die in Anspruch genommene Zusammengesetztheit aufweisen. Und in dieser Hinsicht sind zunächst die negativen Instanzen, auf die Müller-Freienfels sich beruft, kaum einwurfsfrei. Ein sinnliches Gefühl ist freilich kein Werterlebnis; aber nicht, weil ihm, wie allerdings zweifellos ist, eine „sekundäre Stellung- nahme" fehlt, sondern weil von den Gefühlen nur die Urteilsgefühle Werterlebnisse sind. Und die übernommenen Wertungen" sind nicht deshalb keine (vollständigen) Werterlebnisse, weil sie Wertsetzungen ohne Grundlagen, sondern weil sie zunächst bloß Urteile über Werttat- bestände sind, und einen Wert erleben natürlich etwas anderes ist, als wissen, daß ein Wert vorliegt. Wie ist es nun aber ferner mit den positiven Instanzen unseres Autors bewandt? Daß die Erfahrung deren keineswegs wenige aufweist, wurde bereits anerkannt; in Frage steht nur die ihnen seitens unseres Autors zuteil gewordene Beschreibung und die Anwendbarkeit dieser Beschreibung auf sämtliche Werthaltungen. 99 Weniger Gewicht dürfte immerhin in ersterer Hinsicht auf die Spaltung" im werthaltenden Subjekte zu legen sein, auf die sich der Autor durch die Doppelheit der Stellungnahme hingeführt findet und die er in anregenden Einzelbetrachtungen glaublich zu machen versucht. Man wird sicher eine theoretische Auffassung lieber vermeiden, die den normalsten Werterlebnissen den Stempel des Pathologischen aufzudrücken droht. Aber der Gedanke der doppelten Stellungnahme müßte solchem Widerstreben noch nicht zum Opfer fallen. Denn selbst im sozusagen extremsten Falle, demjenigen nämlich, wo sich, wie im obigen „Kitsch“- 1 Ebenda. 2 Vgl. die Zusammenfassung a. a. O., S. 333. 3 A. a. O., S. 327. 4 A. a. O., S. 334 ff.