§ 10. Anhang: Wertgefühl als sekundäre Stellungnahme. 71 " zweiten Schritt ausmachen könnte. Aber Eigenart und Bedeutung der Urteilsgefühle dürfte unserem Autor kaum näher getreten sein als manch anderem Bearbeiter der Werttheorie in den letzten 25 Jahren, - vielleicht schon deshalb, weil er das Charakteristische des Urteils mehr im Ausdruck als im Erlebnis zu suchen scheint.¹ Daß überdies nach der Auffassung unseres Autors eher umgekehrt das Gefühl den ersten, das Urteil den zweiten Schritt ausmachen müßte, das beleuchtet bestens etwa das Paradigma eines Kunstgegenstandes, auf den man des Wohlgefallens wegen Wert legt, das er erregt. Ein Bild gefällt uns, erregt unsere Lust: das ist die primäre Stellungnahme. Zum ästhetischen Wert wird jedoch die Lust (und damit auch das sie erregende Bild) erst, indem ich jener Lust meine Aufmerksamkeit zuwende, sie bejahe, kurz wiederum Stellung nehme. Der negative Fall offenbart die Doppelheit des Prozesses am deutlichsten. Jenes Bild erregte vielleicht nur meine sinnliche Lust, schmeichelte niederen Instinkten und wird darum in sekundärer Stellungnahme als »Kitsch« verworfen".2 „Es ist richtig", liest man an anderer Stelle³, „daß ich in einer Landschaft nur solche Gegenstände apperzipiere, die mein »>Interesse«, also eine emo- tionale Stellungnahme erregen; sie werden indessen erst zu Werten, wenn ich diese emotionale Stellungnahme besonders bejahe." Man wird nicht in Abrede stellen können, daß der Analogie solcher Beispiele ganz außerordentlich viele Erlebnisse des Wertgebietes folgen. " Nur daß es dem Autor gelungen sein sollte, mit Hilfe des Ter- minus „Stellungnahme" dem Begriffe seiner „Wertgrundlage" eine All- gemeinheit zu erteilen, die über das Fühlen und Begehren noch hinaus- reichte, wird schwerlich zuzugeben sein. Der Verfasser hat dabei „jene Stellungnahmen" im Auge, „durch die wir einen Vorstellungsinhalt als >>neu«<, als >>fremd«, als »groß«, als »erhaben«, als wirklich«<, als >>unreal<, als » denselben << und so weiter charakterisieren", auch wohl ,,Zustände wie die Aufmerksamkeit, das Interesse und verwandte Phänomene"5. In der Tat kann, daß etwas »neu« oder »alt« ist, ... öfters ganz verschiedene Bewertungen bedingen", aber näher, wie der Autor selbst hinzufügt, etwa nur, „je nachdem die »Neuheit«< oder das >>Alter<< erwünscht sind. Denn auch diese Stellungnahmen verquicken sich mit Begehrungen "6. Warum könnten dann diese Begehrungen nicht schon für sich als „Grundlagen" ausreichen? Daß etwas »>wirk- lich« oder »>unwirklich« ist“, fährt der Autor fort, „ist niemals in der Empfindung oder der Vorstellung gegeben, ist vielmehr eine Charakte- risierung derselben durch das Ich, eine »Stellungnahme«. In all' diesen Fällen käme unser Begriff der Stellungnahme etwa auf eine psycho- logische Erklärung des erkenntnistheoretischen Begriffs der »Kategorie< 1 A. a. O., S. 327. 2 Vgl. a. a. O., S. 329. 3 A. a. O., S. 349. 4 A. a. O., S. 326. 5 A. a. O., S. 326 f. 6 A. a. O., S. 326. "9