§ 5. Wertgefühle als Seinsgefühle. 55 wärtigt. Dabei sind es aber natürlich nicht etwa die Vorstellungen, die gefallen, sondern jedesmal nur das Vorgestellte. Wie unwesentlich hier also die Existenz dieses Vorgestellten ist, kann niemand verkennen und dabei ist das ganze Gebiet des Erdichteten noch gar nicht aus- drücklich einbezogen, das sogar schon das Sprachgefühl des täglichen Lebens zum Wahren, respektive Wirklichen in Gegensatz stellt. So ergibt sich denn, daß die Gefühle, die uns als Wertgefühle entgegengetreten sind, sich gegenüber anderen Gefühlen durch ein besonderes Verhältnis kennzeichnen, in dem sie sich zur Existenz ihrer Objekte befinden.¹ Auf dieses eigentümliche Verhältnis könnte man durch die Benennung „Existenzgefühl" hinweisen, die dann gestatten würde, die hier auf- geworfene Frage nach der Natur der als Werterlebnisse anzuerkennenden Gefühle durch die Behauptung zu beantworten: Wertgefühle sind nicht Gefühle kurzweg, sondern speziell Existenzgefühle.2 " " In der Tat vermag eine solche Aufstellung dem wohl größten und praktisch wichtigsten Teile des Wertgebietes Rechnung zu tragen; den- noch ist eine Erweiterung erforderlich, weil das Wertgebiet über das Gebiet der Existenz hinausreicht. Das erhellt deutlichst daraus, daß Gegenstände mathematischer Betrachtung keineswegs in jedem Sinne außerhalb der Möglichkeit liegen, dem Wertgesichtspunkte unterstellt zu werden. Es ist ganz alltäglich, einer komplizierten Rechenaufgabe gegenüber zu wünschen, daß die Rechnung ausgehen" möchte, sich an einer eleganten" Ableitung zu freuen und dergleichen. Das ist ohne Zweifel ein „Wertlegen“, für das aber der Natur der in Frage kommenden Gegenstände wegen nicht Existenz, sondern bloß Bestand³ in Betracht kommen kann. Manchmal zeigt sich der Wert zwar an Wirklichem, also an Existierendem, aber doch so, daß er ganz wohl auch bloß auf Ideales bezogen werden kann, dem als solchem dann wieder nur Bestand zukommt. Bei einer Kopie wird man meist Wert auf die Ähnlichkeit mit dem Original legen: soweit es sich dabei um die bestimmte Beschaffenheit dieser Kopie handelt, betrifft der Wert auch hier eine Existenz; die Ähnlichkeit aber, auf die doch eigentlich Wert gelegt ist, kann als solche nicht existieren, sondern nur bestehen. Gelegentlich mag sich der Übergang von der Existenz zum Bestand schon etwas formalistisch anlassen: so etwa, wenn man statt auf ein gewisses wirkliches, also existierendes Buch Wert zu legen, auf die Tatsache Wert legt, daß es existiert. Die Tatsache als solche aber kann jedenfalls nicht wieder existieren, sondern nur bestehen; läßt sich also von ihr Wert prädizieren, so ist, wie wenig wichtig das gegebenen Falles auch sein mag, damit wieder dargetan, daß der Wert nicht etwa prinzipiell auf Existenz beschränkt ist. 4 Als besonders wichtig wird sich uns erweisen, daß man auch 1 Vgl. auch A. Messer. „Psychologie", Stuttgart und Berlin 1914, S. 301 f. 2 Psych. eth. Unters. z. Werttheorie", S. 14 ff. 3 Über den Gegensatz von Existenz und Bestand vgl. „Über Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit" [Register]. 4 Vgl. unten II, § 8.