§ 5. Wertgefühle als Seinsgefühle. 49 * nämlich, zum Beispiel in den Phantasiegefühlen Erlebnisse vor sich, die, obwohl sie nicht aufhören, Gefühle (in ausreichend weitem Wort- sinne) zu sein, sich ihrem Charakter nach doch in ähnlicher Weise den Vorstellungen annähern wie etwa jene Denkerlebnisse, die wir heute als „Annahmen" kennen, dann läßt sich sehr wohl verstehen, wie Versuchspersonen, die mit diesen Tatsachen unzureichend vertraut oder wohl gar theoretisch voreingenommen¹ sind, das Vorhandensein von Gefühlen rundweg in Abrede stellen können, wo ihnen Erlebnisse entgegentreten, die in der Tat nicht den Gefühlen im altherkömmlichen engen Sinne zuzuzählen sein mögen. Natürlich erhebt sich die Frage, welchen Rechtsgrund wir haben, die Aussagen der Versuchspersonen in dieser Weise zu interpretieren. Die Antwort hierauf kann nur auf die Tatsache hinweisen, daß die Charakteristik eines Wertes als solchen ohne Berufung auf gewisse Erlebnisse unmöglich ist, diese Erlebnisse unvermeidlich Gefühle oder Begehrungen sind, solche emotionale Tat- bestände aber, wie ich ebenfalls bereits an anderem Orte dargetan zu haben2 hoffe, durch andere als selbst wieder emotionale Mittel nicht erfaßt werden können. Damit ist dann freilich zugleich auch behauptet, daß selbst, wenn man nur das „Innewerden" von Werten als Wert- erlebnis wollte gelten lassen, dem emotionalen Typus kein ausschließlich intellektueller Typus an die Seite gesetzt werden dürfte. Was ich so als unberechtigte Intellektualisierung des Wert-, resp. Wertungsgedankens bezeichnen möchte, scheint auch noch eine besonders weite Anwendungsweise des Wortes,,Wert" sei es zum Motiv, sei es zur Folge zu haben. Die Weiterführung unserer Hauptuntersuchung wird uns alsbald Gelegenheit geben, auch hierauf mit einigen Erwägungen einzugehen. § 5. Wertgefühle als Seinsgefühle. Sind wir sonach berechtigt, an der emotionalen Natur der Wert- erlebnisse als Tatsache festzuhalten, so muß nunmehr zur Beantwortung der weiteren Frage fortgeschritten werden, ob durch die Charakteristik der Werterlebnisse einerseits als Gefühle andrerseits als Begehrungen auch bereits alles zu ihrer Beschreibung Erforderliche beigebracht ist. Bezüglich der Begehrungen, wie man dieses Wort gewöhnlich zu ver- stehen pflegt, könnte das ganz wohl der Fall sein: erst in der Folge wird darauf zurückgekommen werden können, daß der Begriff der Begehrung eine Erweiterung gestattet, der gegenüber das, was man 1 Zumal das psychologische Experiment nebst vielem Guten gelegentlich auch das Üble zu stiften scheint, daß man sich bei seiner Verwertung aller, auch der guten psychologischen Tradition für überhoben hält. So scheint mir jetzt E. Stern in der wunderlichen Lage zu sein, den erst bereitwillig aufge- gebenen Urteilsgedanken speziell für die Bedürfnisse des Wertgebietes wieder- herstellen zu müssen (in der Abhandlung „Zur Frage der logischen Wertung", Archiv f. d. ges. Psychol. Bd. XXXIX, 1920). Daß ihm dies selbstverständlich gelingt, wird indes kaum für eine experimentelle Verifikation der Haeringschen Auf- stellungen gelten können. 2 Über emotionale Präsentation", S. 26 ff. Meinong, Zur Grundlegung der allg. Werttheorie. 4