44 II. Die Werterlebnisse. Potentialwert ein Paradigma dar für eine bisher noch nicht von uns berücksichtigte Verhaltungsweise gegenüber Werten, den Fällen des Begehrens darin verwandt, daß dabei weder Dasein noch Nichtdasein maßgebend ist, von ihnen aber dadurch unterschieden, daß eben das Begehren fehlt. Kann auch da nicht daran gedacht werden, daß das Subjekt, sofern es überhaupt eine Wertstellung zum Objekt einnimmt, sich bloß intellektuell verhält, so bleibt angesichts der Erfahrung auch hier nur die Berufung auf Phantasiefreude respektive Phantasieleid als das dem Werte gegenüber charakteristische Verhalten übrig, so daß sich das Gefühl, wenn man neben Ernst- auch Phantasiegefühle einbegreift, allenthalben als Werterlebnis bewährt. Die Analogie dessen, was uns beim Begehren einigermaßen vor die Wahl zwischen Begehrtwerden und Begehrtwerden können stellte, legt jetzt die Frage nahe, ob es sich, wenn die Ausdrucksweise vorübergehend gestattet ist, um aktuelles Befühltwerden oder nur um ein Befühltwerden können handeln wird. Auch diesmal wird die Entscheidung zu Gunsten des Potentiellen aus- fallen müssen, will man den Wert nicht an die Flüchtigkeit der Gedanken und Gefühle binden. Dagegen wird eine Beschränkung auf das qualitative Moment hier entbehrlich sein, da den Ernstgefühlen im Bedarfsfalle die Phantasiegefühle zu Hilfe kommen, indes in betreff der Phantasie- begehrungen, so wenig die Gesetzmäßigkeiten ihres Auftretens noch unter- sucht sind, doch schon primitivste Erfahrung außer Zweifel setzt, daß sie offenbar beträchtlich weniger bereitwillig zur Verfügung stehen. Zusammenfassend können wir also jedenfalls das Ergebnis der bisher durchgeführten Untersuchungen so formulieren: Sind wir vor die Wahl gestellt, ob wir das Gefühl oder die Begehrung als das Werterlebnis betrachten wollen oder eigentlich, ob wir Gefühl oder Begehrung als das Werterlebnis zu betrachten haben, dann kann die Entscheidung nur zu Gunsten des Gefühls ausfallen. Sind wir aber vor die Wahl gestellt? Stehen Gefühl und Begehrung hinsichtlich ihrer Position zum Werte einander wirklich als Glieder einer Disjunktion gegenüber? Maßgebend für die Beantwortung dieser Frage kann wie für alles bisherige, was sich uns zur Feststellung eines natürlichen Wertbegriffes dargeboten hat, wieder nur sein, einmal, was wir uns beim Worte „Wert" wirklich denken, dann eventuell auch das, was wir uns dabei denken sollen.¹ Was nun aber zunächst den ersten Gesichts- punkt anlangt, so liegt es meinem persönlichen Sprachgefühl nach wie vor in der Tat recht fern, bei „Wert“ an Begehren zu denken. Aber die Gewähr dafür, daß das bei jedermann ebenso sei, habe ich natürlich nicht, und die Tatsache, daß die Begehrungsansicht vom Wesen des Wertes doch vielfach Anklang gefunden hat, läßt das Gegenteil ver- muten. In betreff des zweiten Gesichtspunktes aber ist für viele Fälle die natürliche Zusammengehörigkeit von Fühlen und Begehren sowie die Bedeutsamkeit des Begehrens doch nicht in Abrede zu stellen. Es sind uns ja im vorangehenden Beispiele genug dafür begegnet, wie leicht 1 Vgl. oben S. 3.