§ 3. Die Wertgefühle. Hauptwerterlebnisse und Nebenwerterlebnisse. 43 ohne daß er sie tatsächlich wünscht, wenn er ihrer gedenkt. Und es ist ein Glück für die Menschen, daß es nicht anders ist; sonst wäre der unerfüllt bleibenden Begehrungen kein Ende und damit auch des Unglücks, sofern jedes unerfüllt bleibende Begehren als solches ein Stück Unglück bedeutet.¹ Wie man sieht, fehlt also in jedem dieser Fälle eine dem nicht fehlenden Werte entsprechende potentielle Begehrt- heit, ohne daß dabei ein Sein oder Nichtsein ein bereits außerhalb des qualitativen Momentes gelegenes Begehrungshindernis ausmachte. Der Wert kann also auch nicht in der qualitativen Begehrbarkeit bestehen. Darf man nicht darauf rechnen, den so aufgewiesenen Mangel durch eine weitere Modifikation der Begehrungsansicht vom Wesen des Wertes beseitigen zu können, so ist damit erwiesen, daß man kein Recht hat, die Begehrung als das Werterlebnis in Anspruch zu nehmen.2 Es ist kein neues, für sich stringentes Argument, aber doch kaum ohne überzeugende Bedeutung, wenn man dem Gedanken, der sonach auf die Begehrung nicht zurückgeführt werden kann, denjenigen gegen- überstellt, der es cum grano salis kann. Was in diesem Sinne dem Kompetenzgebiete des Begehrens in natürlicher Weise zugehört, ist nämlich das Sollen;3 man wird aber trotz mancher Verwandtschaft nicht leicht glauben, daß das Begehren dem Werte gegenüber eine ähnliche Stellung einnehmen werde. § 3. Die Wertgefühle. Hauptwerterlebnisse und Nebenwert- erlebnisse. Im Hinblick auf die oben aufgewiesenen Unzukömmlichkeiten erhebt sich nunmehr die Frage, ob es mit dem Gefühl in diesen Hinsichten besser bestellt ist. In der Tat ist uns im Falle des Daseins wie in dem des Nichtdaseins des Wertobjektes das Gefühl als die natürliche und gewissermaßen adäquate Weise entgegengetreten, zum Werte Stellung zu nehmen. Wo aber auf einen Wert durch Begehren reagiert wird, indem Dasein wie Nichtdasein im Bereich des noch Möglichen liegt, fehlen zwar vernünftigerweise die Voraussetzungen für ernstliches Freude- oder Leidgefühl; um so sicherer ist aber auf Phantasiegefühle zu rechnen. Daß man je etwas begehren könnte, an dem man weder Freude hätte, wenn es eintrifft, noch Leid, wenn es nicht eintrifft, ist doch nicht wohl zu glauben, und die Phantasiegefühle sind die natürlichen Mittel, diesen Eventualitäten in den Begehrungsmotiven Rechnung zu tragen. Was also für die Begehrungen als Werterlebnisse zu sprechen schien, das kommt nicht minder auch den Gefühlen als Werterlebnissen zu statten, indes sämtliche Schwierigkeiten entfallen, die sich den Be- gehrungen in dieser Hinsicht entgegengestellt haben. Weiter bietet nun aber das obige Beispiel vom Kunstwerke des Freundes, das ich nicht begehre und das doch Wert für mich hat, als 1 Nämlich ein Nichtsein von Gegenständen, deren Nichtsein Leid bereitet. 2 Vgl. auch E. Heyde, „Grundlegung der Wertlehre", S. 107 ff. 3 Vgl. „Über emotionale Präsentation", S. 163 f. u. vorher. 4 Vgl. „Über Annahmen“ 2, § 56.