§ 2. Wert und Begehren. 37 - - Das Begehren ist somit eine Weise, in der wir auf ein erfaßtes Objekt ganz speziell seinem Werte nach reagieren; das Begehren scheint also durchaus die Stellung eines Werterlebnisses einzunehmen. Während wir es im Vorangehenden nur mit Gefühlen oder Phantasiegefühlen als Werterlebnissen zu tun hatten, tritt hiermit eine ganz andere Klasse psychischer Erlebnisse¹ gleichsam konkurrierend in die nämliche Posi- tion, und sofern wir hier darauf aus sind, in den Werterlebnissen das Wesentliche des Wertgedankens aufzusuchen, erhebt sich die Frage, ob man sich zu diesem Ende an das Fühlen oder an das Begehren zu halten habe. Handelt es sich in der Tat darum, zwischen den beiden Erlebnisklassen eine Wahl zu treffen, so wird am besten durch den Versuch festzustellen sein, wie sich das eine und wie sich das andere Erlebnis zur Wesensbestimmung des Wertes heranziehen ließe.[8] § 2. Wert und Begehren. Beginnen wir mit dem Begehren, 2 so bietet sich als einfachste Eventualität die Bestimmung dar, Wert habe etwas, sofern es begehrt wird. Dem steht indes die Tatsache der vielen Wertobjekte entgegen, die zu gegebener Zeit so wenig begehrt werden, daß man nicht einmal an sie denkt, ohne daß darum dem betreffenden Objekte sein Wert- charakter in irgend einer Weise verlorengegangen wäre. Man wird sich also statt auf aktuelles höchstens auf potentielles Begehren berufen können, indem man ein Wertobjekt als solches durch die Eignung zu kennzeichnen versucht, unter günstigen Umständen begehrt werden zu können. Nur darf man dieses ,können" natürlich nicht etwa so weit verstehen, daß darunter jede auch noch so entfernte oder etwa bloß ,,logische Möglichkeit Platz findet. Niemand wird etwas schon darum wertvoll nennen wollen, weil, es zu begehren, nicht gerade schon von vornherein ausgeschlossen ist. Gemeint ist vielmehr, was man oft, freilich ungenau, auch als Begehren benennt, indem man etwa vom Freunde sagt, er wünsche das Beste seines Freundes, obwohl er sicher nicht Tag ein Tag aus an den Freund und sein Wohl denkt. Deutlicher mag darum immerhin sein, hier statt von Begehrbarkeit von potentiel- lem Begehren zu reden. - Die sich so ergebende Position nachzuprüfen, dazu bietet die Natur des Begehrens insofern einen Behelf eigener Art dar, als durch 1 Von Versuchen, diesen Klassengegensatz zu verwischen oder zu über- brücken, soll hier abgesehen werden. Wenn H. Münsterberg Philosophie der Werte, Leipzig 1908, S. 63 — besonders weitgehend behauptet,,,Die Lust am Reiz ist ein Streben nach seiner Fortwirkung, das mit der Reizwahrnehmung selbst verschmilzt; die Unlust ein Streben nach der Beseitigung des Reizes, das eben- falls mit der Wahrnehmung zusammenfließt", so ist das vor dem Forum direk- tester Empirie einfach falsch. Vgl. übrigens auch E. Müller-Freienfels,,,Grund- züge einer neuen Wertlehre", Annalen der Philosophie, Bd. 1 1919, S. 324 ff. 19 2 Anregende Beiträge zur Diskussion dieser Frage bietet W. M. Urban, ,Valuation, its nature and laws", London 1909, S. 35 ff. 3 Zur literarischen Kontroverse hierüber vgl. „Über Annahmen",2 S. 326 ff, übrigens auch,,Für die Psychologie und gegen den Psychologismus in der all- gemeinen Werttheorie", Logos, 1912, Bd. III, S. 3 f.