28 I. Voruntersuchungen. denen doch niemand nachfragt. Der erste, beste Grashalm auf der Wiese, ja ein Staubklümpchen in einer Fußbodenritze ist, ausreichend genau genommen, sicher das Einzige seiner Art und darum schlecht- hin unersetzlich; aber niemand denkt daran, diesen Dingen darum irgend Wert beizulegen. Man ersieht daraus, daß Seltenheit und selbst Unersetzlichkeit für sich allein den Wert niemals ausmachen können, obwohl sie ihn ohne Zweifel sehr erheblich mitbestimmen, wenn er anderswie bereits begründet ist. Das kommt auch in der Weise dieser Mitbestimmung unverkennbar zutage, sofern diese nur in Wertherab- setzung besteht, nämlich Herabsetzung jenes Wertes, der dem betreffenden Objekte im Falle seiner Einzigkeit und Unersetzbarkeit zukäme: Steigerung der Seltenheit und daher der allfälligen zum Ersatz führenden Opfer bedeutet niemals eine eigentliche Steigerung des Wertes, sondern nur den Übergang zu einem geringeren Grade von Wertherabsetzung. Jedenfalls darf man also behaupten: Kosten und Mühe, die mit der neuerlichen Herstellung einer Sache im Verlustfalle etwa verbunden sein würden, sind nur dann geeignet, auf den Wert der Sache Einfluß zu nehmen, wenn diese Sache schon ohne Rücksicht auf die Opfer Wert hat. Wer also den Opfern die Fähigkeit zuspricht, den Wert zu konstituieren, setzt dabei bereits Wert als vorgegeben voraus, und hierin liegt der erste Zirkel. Aber noch ein zweites Mal ist in einer derartigen Konzeption der Wert bereits als gegeben vorausgesetzt, und zwar wahrscheinlich nicht nur bei Heranziehung der bevorstehenden, sondern auch bei der der gebrachten Opfer, nur im ersteren Falle in besonders augenfälliger Weise. Warum ist es uns einigermaßen verständlich, daß uns an der Existenz eines Dinges um so mehr liegt, je mehr Kosten und Mühe wir im Nichtexistenzfalle auf uns nehmen müßten? Doch wohl nur darum, weil Kosten und Mühe uns lästig, also eben darum, weil es Opfer sind. Ein Opfer aber ist seinem Wesen nach genau das Gegenteil dessen, was wir als wertvoll zu bezeichnen pflegen, das heißt, es hat seinem Begriffe nach Wert mit negativem Vorzeichen, insofern also auch Wert.2 Opfer können also schon deshalb den Wert nicht konstituieren, weil sie selbst Wert, allerdings negativen Wert haben müssen, um Opfer zu sein. Dem durchaus negativen Ergebnisse gegenüber, das sonach die kritische Diskussion des Grundgedankens der Opferwerttheorie³ zutage 1 Es ist, immerhin zunächst vom Standpunkte der Ethik und Politik, beachtenswert, daß diese Voraussetzung gar falsch sein kann. Zwar hätte, wer den Dichterworten den Satz nachbildete „Arbeit ist die größte Plage, Reichtum ist das höchste Gut", einer Meinung Ausdruck gegeben, die auch heute noch für größte politische Parteien axiomatische Selbstverständlichkeit hat. Mit der Würde der Arbeit aber steht ein solches Axiom in kaum zu lösendem Widerstreit. 99 2 Vgl. auch Wieser a. a. O. S. 99 ff., 110 f. 3 Eine mehr ins einzelne eingehende Würdigung namentlich der ökono- mischen Seite dieser Theorie vgl. insbesondere Wieser a. a. O. S. 97 ff. sowie desselben Autors „Der natürliche Wert", S. 64 ff.