74 eine solche Tatsächlichkeit gegründet sein genau so, wie die des Wollens auf die Tatsächlichkeit des Sollens gegründet ist. Die Verhältnisse beim Sollen, die wir nun schon kennen, geben eine brauchbare Führung bei Prüfung dieser Frage. Was sein soll, hat, sofern es sein soll, einen Wert. Für diesen Satz ist eine Begründung nicht zu verlangen; er ergibt sich als ein Axiom unmittelbar aus dem Wesen von Sollen und Wert. Wie nun was im Sinne eines Begehrens sein soll, Wert hat im Sinne der Begehrbarkeit, so wird, was tatsächlich sein soll, auch tatsächlichen Wert haben müssen. Was im eigentlichen Sinne¹ und unbedingt sein soll, ist formale Richtigkeit des Wollens und alles, was sie fordert: sie hat also auch unbedingten Wert; weil sie diesen hat, soll sie ja sein. Die notwendige und hinreichende Bedingung formaler Richtig- keit ist nun die maximale Bewährbarkeit, d. i. überwiegende Möglich- keit dafür, daß das Wollen, genauer der im Wollen betätigte Gesamt- wille, sein Ziel erreiche. Dies ist der sachliche Grund des Sollens und offenbar auch des Wertes: das rein intellektuell erfaßte Äquivalent von unbedingtem Sollen und unbedingtem Wert zugleich. Freilich, das eigentliche Wesen ist damit bei keinem von beiden getroffen sie müßten ja sonst identisch sein und nicht bloß untereinander und mit jenem rein „sachlichen" Tatbestande äquivalent. Das Wesen des Wertes ist nur zu „erschauen" durch Vermittlung des Gefühles, das man Wertgefühl nennt, das Wesen des Sollens nur durch Ver- mittlung des Wollens; aber nicht, indem man an diese denkt und ein zu ihnen in bestimmter Relation Stehendes meint,2 sondern einfacher, indem das Gefühl, bzw. das Wollen ohne selbst erfaßt sein zu müssen unserem Erfassen das entsprechende Gegenständliche - als seinen „Sinn" - vergegenwärtigt, darbietet oder präsentiert, ähnlich wie eine Vorstellung ihren Gegenstand präsentiert. Wie die Gestalt des Kreises nur durch die Anschauung selbst und in ihrem eigenen Wesen erfaßt werden kann, so Wert und Sollen nur durch diese emotionale Präsentation. Ohne Gefühl und Wollen wüßten wir nie, was Wert ist und was Sollen ist, so wie wir ohne Farbensinn nie- mals das Wesen von rot und blau kennten und ohne anschauliche Gestalterfassung niemals das Wesen der Kreisgestalt. Das hindert aber nicht, daß man zur anschaulichen Kreisgestalt ein unanschaulich erfaßbares Äquivalent angeben kann, etwa in einer mathematischen, am reinsten in der analytischen Fassung des Kreisbegriffes, der - 1 Auch das uneigentliche Seinsollen der Tatsachen setzt einen Wert voraus: den uneigentlichen Wert der einfachen Tatsächlichkeit. In diesem Sinne hat jedes Wirkliche, als Träger von tatsächlichen Sachverhalten, als das, woran Bestimmungen vertatsächlicht sind, einen Wert, der neben anderen, eigentlichen, Werten und Unwerten an ihm besteht. 2 Diese Relation könnte ja nur die des gegenständlichen Entsprechens sein, und was einem Psychischen in diesem Sinne entspricht, ist uns durch es direkt gegeber. Der Gedanke an die Relation setzt also dieses Gegebensein, d. h. direkte Erfaßtsein des Gegenständlichen voraus.