69 es tatsächlich Wert hat und sollen uns dafür entscheiden, was unter den gegebenen Umständen das Wertvollste ist. In der Tat sind es vor allem Wertgefühle und Werterwägungen, die unser Wollen be- stimmen; Gedanken an die Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit der Ver- wirklichung spielen daneben nur eine zweite Rolle und scheinen über- haupt erst zur Geltung kommen zu dürfen, wenn es sich eben um Möglichkeit der Verwirklichung eines Wertes handelt. Etwas Wertloses oder Unwertiges mag beliebig leicht zu verwirklichen sein, so ist es deshalb doch nicht gesollt. Unsere Zurückführung formaler Richtigkeit auf maximale Bewährbarkeit verdankt also wohl den Schein von Berechtigung, den sie hat, dem Umstande, daß wir bei Bewährbarkeit schon irgendwie an Werte denken? Nur wenn Wert selbst auf Bewährbarkeit beruhen sollte und nicht umgekehrt, ist unsere Angabe der notwendigen und hinreichenden Bedingung formaler Richtigkeit im Rechte. ―――――――――――――― Wie jeder relativen Sollbestimmung ein Wert entspricht, ist - in § 11, 3 schon besprochen worden; es bleibt noch die Beziehung zwischen Wert und entscheidendem Sollen genauer zu bestimmen. Die Formel, man solle im gegebenen Falle den größten möglichen Wert verwirklichen, bedarf einer Präzisierung. Offenbar ist für dieses entscheidende Sollen weder die rein äußerlich verstandene Wahrschein- lichkeit der Erreichung des einzelnen Willenszieles, noch auch der Wert dieses Zieles allein maßgebend. Bei gleichen Werten wird das wahrscheinlichere, bei gleichen Wahrscheinlichkeiten das wertvollere Ziel zu wählen sein. So ist für die Wahl das maßgebend, was man in der Wahrscheinlichkeitsrechnung den Hoffnungs- oder den Er- wartungswert nennt, es ist, wenn Wert und Wahrscheinlichkeit zahlenmäßig angegeben sind, gemessen durch das Produkt ihrer Maßzahlen; sei w die Maßzahl der Wahrscheinlichkeit des Erreichens, a der Wert des Zieles, so ist w. a sein Erwartungswert. Man soll das Ziel wählen, dessen Erwartungswert der größte ist. Für ein hohes Ziel wird man viel wagen und soll es wagen, für ein geringes nur wenig. Man kann sich die Berechtigung dieses Ansatzes auch durch eine statistische Überlegung vergegenwärtigen: „Unter einer großen Anzahl n von Fällen" wo man den Wert a mit der Wahrscheinlichkeit w zu verwirklichen unternimmt werden etwa n w den Gewinn a bringen, die übrigen nichts: also ist der durchschnittliche Gewinn 99 - - 1 Der Satz, der übrigens noch eine wesentliche Präzisierung erfahren wird, entspricht dem allgemeinen Begriff des sittlich Guten, auch insbesondere der Auffassung F. Brentanos (Vom Ursprung sittlicher Erkenntnis. 2. Aufl., herausgegeben von O. Kraus, Leipzig, 1921), aber dieser entspricht nicht die hier vertretene Überzeugung vom Wesen des Wertes. 2 Über das Wertgefühl und seine Beziehung zum Werte vgl. Meinong, Zur Grundlegung der allgemeinen Werttheorie, herausgegeben von E. Mally, Graz, 1923.