67 her; wüßten wir mehr, so würde sie sich beträchtlich verringern, gleichwohl in mancher Richtung auch erweitern, wie die Erkenntnis neue Abhängigkeiten und manchmal auch neue Unabhängigkeiten aufdeckt. Unser ethisches Urteil kennt zwischen dem strengen Sollen und der Null des Sollens, die im Indifferenten vorliegt, eine Art Über- gang. Eine kleine Abweichung von der gebotenen Leistung wird oft geduldet, eine größere schwerer ertragen, als wäre die genauere Annäherung an das Gebotene weniger gesollt als die geringere. Das ist offenbar unmöglich, wenn das Gebotene selbst streng gesollt ist. Es kann nur eintreten, wenn die geforderte Bestimmung genauer gefaßt als gemeint ist. So übernimmt ein Mechaniker die Verpflich- tung, ein Stück zu liefern, bei dem eine bestimmte Ausdehnung " 10 cm betragen soll" und gemeint ist etwa, daß die Ab- weichung von diesem Maße, nach oben und nach unten, kleiner als 0.3 mm sein soll, und andere Bestimmungen lassen noch viel größere Spielräume, deren Grenzen selbst wieder nicht genau anzugeben sind. In allen diesen Fällen ist nur das Einhalten des Intervalles streng gefordert, vielleicht Erreichung einer bestimmten Stelle in ihm am meisten erwünscht. Aber, sofern mit Recht erwünscht, ist dann diese das Bewährbarste im Falle und daß sie gleichwohl nicht streng ge- fordert ist, hat seinen Grund nur in der Unvollkommenheit unseres Könnens. Streng gefordert ist die beste mögliche Annäherung an das Beste und das ist wieder die größte erreichbare Bewährbarkeit des Tuns; was darüber geht, ist nicht etwa in minderem Grade geboten, sondern ist nicht geboten. Man findet aber auch bewußte und gewollte Abweichungen vom Bewährbarsten verzeihlicher, wenn sie kleiner, schwerer, wenn sie größer sind, man spricht von leichten und von schweren Verfehlungen. Wenn jemand so dem bewährbarsten ein minder bewährbares Tun vorgezogen hat, so hat er nicht ein minderes, sondern ein strenges Sollen verletzt, aber er hat statt des höchsten immerhin einen ge- ringeren Wert verwirklicht oder angestrebt und ist nur, statt dem entscheidenden resultierenden Sollen zu folgen, einem relativen Sollen (vgl. § 11, 3) gefolgt. Nur das relative Sollen läßt verschiedene Grade zu: was im Hinblick auf die gegebene Sachlage mehr Be- währungsmöglichkeit hat, ist insofern stärker gesollt, aber ganz und entscheidend gesollt ist nur das Bewährbarste. Nur dieses dürfen wir geboten nennen und alles was geboten ist, ist gleich geboten. Wenn wir eine Pflichtverletzung leichter, eine andere schwerer nennen, so hat das nur den berechtigten Sinn, daß in jener ein stärkeres relatives Sollen immerhin erfüllt ist, in dieser nur ein schwächeres. Aber dieses relative Sollen ist von anderer Art als das unbedingte; was bloß im relativen Sinne sein soll", ist eigentlich etwas, das, sofern die und die Teilbestimmung zutrifft, sein sollte, aber mit Rücksicht auf andere Umstände die eben vorliegen, doch nicht sein soll. 5*