60 " glaube. Das läßt sich nun leicht auf die Form eines wenn so" bringen: wenn x glaubt, daß das Urteil u falsch ist und daß y es glauben wird, wenn x es aussagte, so soll x dem y gegenüber u nicht aussagen. Aber diese Forderung ist nicht zu halten: sie gilt nicht ausnahmslos, d. h. sie gilt nicht. Und doch muß in dem Tat- bestande des bewußt die Unwahrheit Sagens etwas gelegen sein, was es mit sich bringt, daß man ihn eben gewöhnlich als lügen bezeichnet und negativ wertet, wie dieses Wort es mit ausdrückt. Das Verbot solchen Verhaltens aber gilt offenbar nur als eine Regel, die normalerweise zu befolgen sein wird und entsprechend auch das Gebot „die Wahrheit zu sprechen“, genauer: wenn man aus- sagt, seiner Überzeugung gemäß auszusagen. Auf solche Regeln läuft es, allem Anscheine nach, d. h. soweit man durch Unter- suchung der einzelnen Fälle feststellen kann, überall hinaus, wo eine primäre eigentliche Forderung aufgestellt wird, die in der Gestalt eines allgemeinen Gebotes oder Verbotes auftritt; sie mag strenger Geltung sehr nahe kommen, so nahe, daß die Ausnahmen praktisch kaum ins Gewicht fallen, bei vielen ist auch das offenbar nicht der Fall, Ausnahmen aber gibt es dabei überall. Dann aber ist ein solches Gebot in der Fassung, in der es auftritt, eigentlich falsch¹ und nur als „nicht genau gemeint“ zu dulden. Für die Theorie entsteht die Aufgabe, den Tatbestand des Sollens, der hinter einer solchen Forderung doch wohl steht, rein herauszuarbeiten und genau zu bezeichnen. - ――― 3. Relative Sollensbestimmungen. Hier kann eine Beobachtung die Richtung weisen, die man bei dem Versuche, über die Richtigkeit des Verhaltens in irgend einem nicht ganz leicht zu beurteilenden Falle ins klare zu kommen, oft macht. Da ist es so, daß wir über den Fall als ganzen zunächst nicht sicher urteilen können, ihn analysieren und dann sagen: mit Rück- sicht auf die und die Umstände sollte so gehandelt werden, mit Rücksicht auf diese anderen aber nicht. Das zeigt, daß bei primären, eigentlichen Forderungen die Art, wie eine Be- stimmung Voraussetzung für das Erfülltseinsollen einer anderen ist, nicht in einem wenn, sondern in einem insofern ihren angemessenen Ausdruck findet. Insofern, als die Auskunft, die der Arzt dem Kranken gegeben hat, seiner Überzeugung entsprach, hat er gehandelt, wie er sollte; darin, daß er dem Manne den letzten Trost der Hoffnung nahm, an den er sich gehalten hatte, liegt etwas Sollenswidriges; aber sofern der Kranke dadurch veranlaßt wurde, seine Angelegen- heiten in Ordnung zu bringen, die er sonst zum Unglück seiner ―――― * 1 Vgl. die Bemerkung über den Unbegriff der „bedingten Geltung eines Urteils, § 10, 1. 66